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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Lampe oder an der Decke dadurch wieder aufzuladen, dass sie mit ihrem langen Rüssel zwecks Nahrungssuche auf allen möglichen Dingen herumschlabberte, erschien plötzlich auf seiner inneren Kinoleinwand das Angst einflößende Bild einer riesengroßen bunten Mücke, deren widerliche Einzelteile ihm in grellen Farben entgegenleuchtete.
    Er musste unwillkürlich an das Kunststoffmodell der Drosophila denken, das garantiert immer noch in der Biologiesammlung des Rittersberg-Gymnasiums herumstand, und das bei ihm schon damals in seiner Schulzeit, als er und seine Klassenkameraden sich im Unterricht zwangsweise mit dieser unästhetischen Missgeburt beschäftigen mussten, keine anderen Reaktionen hervorgerufen hatte, als Ekel und tiefe Abscheu.
    Nun erinnerte er sich auch noch daran, dass er irgendwann in der Oberstufe mit der Lyrik Gottfried Benns konfrontiert worden war. Es hatte sich dabei um eines dieser abscheulichen Gedichte gehandelt, in denen detailliert die Eiablage einer Schmeißfliege in den halb verwesten, aufgeschlitzten Körper eines toten Soldaten beschrieben wurde.
    Während dieses unappetitlichen Erinnerungsschubs kreiste die Mücke scheinbar ziellos weiter über ihm. Dann gönnte sie sich eine kleine Verschnaufpause, um sich hernach wie ein winziger Stuka-Kampfbomber mehrmals auf ihn herabzustürzen. Kurz vor seinem Körper drehte sie aber immer wieder ab.
    Nach einigen weiteren Erkundungsflügen allerdings landete die Mücke schließlich doch noch auf ihm – und zwar direkt auf seiner Stirn. Zunächst krabbelte sie nur unkoordiniert umher, doch bereits kurze Zeit später fing sie auf einmal an, mit ihrem Rüssel auf seinem Gesicht herumzuschlecken.
    Nie hätte er geglaubt, dass ein Mensch in der Lage sein könnte, den Saugrüssel einer Schmeißfliege auf seinem Körper wahrzunehmen. Und nicht nur das: Die Nervenzellen in seiner Gesichtshaut waren inzwischen so sensibel geworden, dass es ihm sogar möglich war, die Reizungen, welche von den kleinen Beinchen hervorgerufen wurden, genau von denen, die der Rüssel verursachte, zu unterscheiden.
    Augenscheinlich hatte es die Mücke auf die kleinen Schweißperlen auf seiner Haut abgesehen. Zielstrebig bewegte sich nämlich das nervige sechsbeinige Insekt auf seine Nase zu, die Stelle seines Gesichts, an der sich erfahrungsgemäß die dicksten perlenartigen Schweißabsonderungen bildeten.
    Er wurde fast wahnsinnig.
    Dieser unerträgliche Zustand des völlig hilflosen Ausgeliefertseins an ein Tier, dem er Zeit seines Lebens immer nur mit Abscheu und Aggressivität begegnet war, raubte ihm nahezu den Verstand. Aber außer diesem abgrundtiefen Ekel, der sich seiner angesichts dessen, was da froh gelaunt auf ihm herumkrabbelte, bemächtigt hatte, gab es noch etwas anderes, das ihn fast an den Rand des psychischen Kollapses brachte: dieses Kitzeln, dieses unerträgliche leichte Kitzeln auf seiner Gesichtshaut.
    Plötzlich betrat ein Krankenpfleger leise vor sich hinfluchend den Raum. Sein unvermitteltes Auftauchen musste die genüsslich auf ihm herumschlabbernde Mücke sehr irritiert haben, denn sofort schaltete sie ihren Flugturbo ein und begann nun aufgeregt in seinem Krankenzimmer herumzurasen. Die Mücke erzeugte dadurch ein sehr markantes Geräusch, auf das der Mann sehr schnell aufmerksam wurde.
    „Verfluchtes kleines Mistviech!“, schrie er unvermittelt los, bewaffnete sich mit einem seiner Slipper und nahm umgehend die Jagd nach dem geflügelten Quälgeist auf.
    Allerdings gestalteten sich die engagierten Bemühungen des Krankenpflegers nicht sonderlich erfolgreich, denn obwohl er wirklich alles versuchte und sich sogar einmal während der Verfolgungsjagd wie ein Tiger auf Maximilians Bett stürzte, konnte er dieser überflüssigen Kreatur nicht habhaft werden. Erst als ihm die Oberschwester den Tipp mit dem Giftspray gab, wurde sein Vorhaben umgehend von Erfolg gekrönt. Es war ganz einfach gewesen: ausspähen – anpirschen – sprühen – Mücke tot!
    Als Zeichen seines grandiosen Jagdtriumphes trug der Pfleger die erlegte Schmeißfliege wie eine Trophäe stolz vor sich her. – Eine Schlussfolgerung, die sich Max, obwohl er ja nicht sehen konnte, deshalb aufdrängte, weil die Oberschwester ihren Kollegen mehrfach dazu aufforderte, das erlegte Tier endlich in den Mülleimer zu werfen.
    Dann war er wieder allein.
    Erleichterung breitete sich in ihm aus.
    Er entspannte sich.
    Wohliger Schlaf warf sein betäubendes Netz über ihn.
    Plötzlich hörte er

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