Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
ein Stück!“, bat der Leiter des K1.
Während des Waldspaziergangs informierte er seinen besten Freund ebenso über die schier unglaublichen Erkenntnisse des BKA hinsichtlich der skrupellosen Aktivitäten der Organ-Mafia in der Trippstadter Schlossklinik, wie auch über seine persönlichen Probleme, die ihm auferlegte Schweigepflicht betreffend.
Dr. Schönthaler mischte sich in den Monolog Tannenbergs nicht ein, hörte ihm einfach nur schweigend dabei zu, wie dieser sich mit wilder Gestik seine Sorgen von der Seele redete. Während sein Freund ihm mit eindringlichen Worten den fürchterlichen inneren Konflikt schilderte, an dem sein Herz fast zu zerreißen drohte, nahm das Gesicht des Rechtsmediziners einen immer versteinerteren Ausdruck an.
Nachdem sich der dunkle, dicht bewachsene Mischwald etwas gelichtet hatte, erreichten beide Männer einen breiten Fahrweg, der nach etwa zweihundert Metern schließlich in eine schmale Asphaltstraße mündete. Als sich nach einer kleinen Fichtengruppe unversehens ihr Blickfeld öffnete, verlangsamten sie gleichzeitig ihre Schritte. Dann blieben sie stehen. Vor ihnen lag eine mit blühendem Löwenzahn betupfte hügelige Wiesenlandschaft, über der auf der anderen Seite eines schmalen Tals das Trippstadter Schloss thronte.
„Ach so, jetzt versteh ich auch endlich, warum du mich hierher gefahren fast. Und vor allem versteh ich jetzt auch, warum du diesen Schleichweg über Stelzenberg genommen hast. Du vermutest, dass das BKA die Klinik observiert und …“
„Klar“, schnitt Tannenberg ihm den begonnenen Satz ab. „Sogar ganz sicher machen die das! Die würden ausflippen, wenn sie wüssten, dass ich hier bin.“
„Und du glaubst nicht, dass sie uns hierher gefolgt sein könnten?“
Daran hatte er nicht gedacht. Der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Dann fing er sich aber gleich wieder.
„Das denk ich eigentlich nicht, die brauchen ihre Leute zurzeit für andere Dinge.“
Der Gerichtsmediziner nickte zustimmend. „Aber du, ich muss dir ehrlich sagen, dass ich es einfach nicht glauben kann, was du mir eben erzählt hast.“
Er blickte ihm tief in die Augen.
„Doch, Rainer, das ist leider alles wahr. Wirklich alles!“
„So was Verrücktes! Ich kann es einfach nicht glauben: die Organ-Mafia hier mitten unter uns – im Pfälzer Wald … Das ist ja eine Wahnsinnsgeschichte, die hätte sich ja ein Kriminalschriftsteller nicht besser ausdenken können.“
Wolfram Tannenberg dachte für einen kurzen Augenblick an das Fiasko mit der musikalischen Lesung. „Sei mir bloß ruhig mit Kriminalschriftstellern!“
„Warum?“
„Egal“, gab der Kriminalbeamte einsilbig zurück.
Dr. Schönthaler bohrte nicht weiter nach, sondern versuchte seinen besten Freund ein wenig zu beruhigen: „Wolf, wenn das mit der Infektion stimmt, dann ist dieser Max zumindest für die nächsten Tage, wenn nicht sogar mindestens für eine oder sogar zwei Wochen auf der sicheren Seite. Und wenn dann auch noch dieser Dr. Wessinghage und das BKA auf ihn aufpassen, brauchst du dir keine großen Sorgen mehr um ihn zu machen. Und was Marieke betrifft: Sie ist eine robuste junge Frau, die garantiert demnächst wieder die Kurve kriegen wird. Was meinst du wohl, wie sie sich freuen wird, wenn diese Sache vorüber ist und sie ihren geliebten Max wieder in die Arme schließen kann!“
„Glaubst du wirklich, dass alles gut geht?“
„Klar, Wolf, felsenfest!“
Diese aufmunternden Worte taten dem Leiter des K1 spürbar gut. Seine Verkrampfungen lösten sich zusehends. Erleichtert schickte er seine Augen auf Erkundungsreise in die nähere Umgebung. Plötzlich entdeckte er direkt vor ihnen an einem grauen Metallrohr ein in etwa zwei Metern Höhe angebrachtes Straßenschild, auf dem mit weißen Lettern auf blauem Hintergrund ›Am Galgen‹ geschrieben stand.
„Das gibt’s doch gar nicht! Manchmal gibt’s Zufälle, die gibt’s gar nicht! Das hier zum Beispiel kann doch wohl kein Zufall sein, oder?“, fragte er in Richtung des ein wenig versetzt hinter ihm stehenden Gerichtsmediziners.
„Ja, was denn sonst? Mensch, Wolf, das sind doch alles nur Einbildungen. Solche Phänomene lassen sich ganz schnell mit der Wahrscheinlichkeitstheorie erklären.“
„Aber bitte nicht jetzt, Rainer!“
„Nein, nein … Du, aber wenn ich mir’s so recht überlege, eigentlich gibt es kaum einen idealeren Ort für solche kriminellen Machenschaften: Verschlafene Provinz, wo Ärzte immer noch den
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