Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
noch Menschen geben, die sich auf legale Art und Weise von ihren Organen verabschieden.“
Lachend verließen die beiden Ärzte Maximilians Krankenzimmer.
18
Montag, 5. Mai
Solch ein schreckliches Wochenende hatte Wolfram Tannenberg schon lange nicht mehr erlebt. Nachdem er seine gewaltigen Probleme dem Gerichtsmediziner offenbart hatte, waren die beiden zu einem ›dringend erforderlichen Kompensationstrunk‹ – das waren die Originalworte Dr. Schönthalers – im Aschbacherhof versackt. Eigentlich hatten sie sich vorgenommen, dort nur ein Weizenbier zu trinken. Aber wie so oft, wenn die beiden Männer gemeinsam um die Häuser zogen, hatten die guten Vorsätze auch diesmal schon von vornherein eigentlich nie eine realistische Chance auf Umsetzung gehabt.
Und weil die Landgaststätte irgendwann kurz vor Mitternacht ihre Pforten schloss, ließen sich die Hobby-Zecher noch eine Flasche Riesling als Marschverpflegung für den zu Fuß zu bewältigenden Heimweg aushändigen. Die ganze Sache endete schließlich damit, dass die beiden Freunde nach ihrer leicht torkelnden Rückkehr in die schützenden Mauern der Barbarossastadt in der Havanna-Bar versackten.
Als Tannenberg dann am Sonntagmittag mit einem unglaublichen Brummschädel in seiner Badewanne erwachte, hatte er nicht einmal mehr den Funken einer Erinnerung an die Ereignisse der vergangenen Nacht.
Aber auch der im Übermaß zugeführte Alkohol hatte es nicht geschafft, die schreckliche Situation, in der er sich befand, aus seinem Gehirn zu brennen. Kaum hatte er die Augen geöffnet, waren diese fürchterlichen Bilder wieder da – Bilder, die ihn sofort aufstöhnen ließen: Max als stillgelegtes Organdepot, Marieke als selbstmordgefährdete Trauernde.
Er hatte diese Einspielungen einfach nicht ertragen können.
Ohne auch nur einen Deut über irgendwelche Handlungsalternativen nachzudenken, hatte er sich zielgerichtet an seinen Küchenschrank geschleppt und in einem regelrechten Sturztrunk fast eine halbe Flasche seines geliebten Mirabellenbrandes die rebellierende Kehle hinuntergekippt. Um die brennenden Schleimhäute zu beruhigen, hatte er nach jedem großen Schluck Schnaps ein halbes Glas Apfelsaft getrunken.
Und danach war ihm übel, speiübel gewesen.
Er hatte gelitten, gelitten wie ein Hund. Ein paar Mal war er kurz davor gewesen, Marieke wenigstens ein paar Andeutungen über die tatsächliche Situation ihres Freundes zu machen, hatte sie sogar drüben im andern Haus anzurufen versucht. Aber sie war nicht da gewesen, hatte bei ihrer besten Freundin das Wochenende verbracht.
Irgendwann hatten ihn dann plötzlich starke Zweifel dahingehend überkommen, ob es richtig gewesen war, den Rechtsmediziner ins Vertrauen zu ziehen und sich ihm dadurch auf Gedeih und Verderb auszuliefern.
Weder das BKA noch sonst wer hatte sich an diesem Wochenende bei ihm gemeldet. Er war auf dem Abstellgleis geparkt, fast genauso handlungsunfähig wie Maximilian Heidenreich.
In einem Anflug von alkoholbedingtem Wahnsinn hatte er sich für einen Moment doch tatsächlich dazu entschlossen, sofort in die Klinik zu fahren und auf eigene Faust Max mit einer Gewaltaktion aus diesem schrecklichen Gruselkabinett zu befreien. Aber sein Auto war ja glücklicherweise nicht da, stand immer noch auf dem großen Waldparkplatz am Aschbacherhof.
Allein schon der Gedanke, dass Marieke bei ihm in der Wohnung erscheinen könnte und er ihr in die Augen schauen müsste, wenn er gezwungen war, sie anzulügen, trieb ihn fast zum Wahnsinn.
Und nun saß er am Montagmorgen in seinem Dienstzimmer und kämpfte mit einem ausgewachsenen Kater, einem fürchterlichen Untier, das sich einfach nicht verscheuchen ließ, sondern ihm ohne jegliches Erbarmen immer und immer wieder seine scharfen Krallen in den Schädel jagte.
Wie komm ich nur wieder an mein Auto? Das steht ja immer noch am Aschbacherhof. Vor allem: Wie komm ich dahin, ohne dass es jemand merkt. Denn dann wüssten die doch alle sofort, was Sache ist. – Warum mach ich nur immer wieder solch einen verdammten Blödsinn?, pochte es hinter seiner Schädeldecke.
Dann hatte er eine Idee.
Ohne irgendein Wort an Petra Flockerzie zu richten, schlich er am Schreibtisch seiner Sekretärin vorbei und flüchtete aus dem Kommissariat. Er ging zum Krankenhaus, bestieg dort ein Taxi und ließ sich von diesem zu dem einige Kilometer vor den Toren der Stadt in einem idyllischen Wiesental gelegenen Landgasthof bringen.
Als er etwa eine halbe Stunde
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