Ohnmachtspiele
Kokain oder Morphium.
So spazierten sie ersatzweise über den Mönchsberg, setzten sich am frühen Nachmittag in ein Wirtshaus und aßen jeder ein Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat. Schäfer war erstaunt über seinen Hunger; und über die fast heitere Gelassenheit, mit der er durch den Tag streunte. Es war seine Nichte, ihre sonnige Unbeschwertheit, ihre kluge Naivität, die ihm so guttaten. Als er sonntagnachts heimfuhr und im Zug in den Gedichtband hineinlas, wunderte er sich allerdings selbst, wie sich Lisas Gemüt mit solch düsteren Stimmungen vertrug.
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern. Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen. Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern, indes wie blasser Kinder Todesreigen um dunkle Brunnenränder, die verwittern, im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen. Als Schäfer aus dem Zug stieg, zog sich instinktiv sein Herz zusammen.
Die Morgenbesprechung am Montag wurde von einem Ereignis dominiert: In der Nacht zuvor waren an einer Autobahnraststätte wenige Kilometer vor der ungarischen Grenze zwei Serben festgenommen worden, die als dringend tatverdächtig galten, die beiden Tschetschenen erschossen zu haben. Die Verhaftung war ein Glücksfall gewesen, weniger dem Eifer der Ermittler als der Dummheit der Verdächtigen zuzuschreiben. Ein Autofahrer, der sich selbst gern als Straßenkontrollorgan sah, hatte bei der Polizei angerufen, weil ihm ein BMW aufgefallen war, der viel zu schnell unterwegs war und zudem andere Verkehrsteilnehmer durch dichtes Auffahren und Einsatz der Lichthupe gefährdete. Eine Autobahnstreife nahm sich der Angelegenheit an und verfolgte den Wagen. Die Überprüfung des Kennzeichens ergab, dass der BMW als gestohlen gemeldet war, die Beamten forderten Verstärkung an, Zugriff. Noch in derselben Nacht hatte Bruckner die zwei Serben erstmals vernommen – ohne brauchbare Ergebnisse. Den Wagen hätten sie sich von einem Bekannten ausgeliehen, dessen Name ihnen entfallen war. Und die 190 km/h? Die Mutter des einen wäre schwer krank und bräuchte dringend ihre Hilfe.
„Kannst du mir helfen?“, wandte sich Bruckner nach der Morgenbesprechung am Gang an Schäfer.
„Sicher“, meinte Schäfer zögernd, obgleich ihm die Vorstellung, den ganzen Nachmittag mit einem Auftragsmörder in einem fensterlosen Raum zu verbringen, unmittelbar alle positiven Energien entzog, die er aus Salzburg mitgenommen hatte. So einem Verhör fühlte er sich noch nicht gewachsen. Zwei serbische Berufskriminelle, die sie stundenlang verarschen würden. Die mit ihren faulen Zähnen blöd grinsen würden, bis er so weit war, sie an den Haaren zu packen und ihr Gesicht so lange auf den Schreibtisch zu knallen, bis es wie frische Kalbsleber aussah. Kindergärtner, ging es Schäfer durch den Kopf, einfach alles hinschmeißen und Kindergärtner werden.
Die Zeit bis Mittag verbrachte er damit, die Ermittlungsakten durchzusehen, um einen ungefähren Eindruck davon zu bekommen, mit wem er es zu tun hatte. Siebenundzwanzig und neunundzwanzig, keine Aufenthaltsgenehmigung, einer wurde von Interpol wegen eines Raubmordes in Marseille gesucht, beide vermutlich Mitglieder einer kriminellen Bande. Schäfer legte den Akt beiseite und atmete tief durch. Was für ein Abschaum – wie hielt Bruckner das durch? Er bewunderte ihn. Zehn Jahre länger dabei als er selbst und ein Gemüt wie ein Bär vor dem Winterschlaf – dessen Statur und Kraft allerdings inbegriffen. Das äußerste Anzeichen von Erregung, das Schäfer an ihm kannte, war ein offenbar unkontrollierbares Zittern seiner Augenbrauen. Und nur sehr selten war es danach noch nötig, Bruckners Gegenüber darauf hinzuweisen, dass nun die Zeit für eine harmonische Zusammenarbeit gekommen war. Schäfer zog sich mit einem selbstmitleidigen Seufzer den Mantel an.
„Irgendwas weitergegangen?“, fragte er Bruckner, während sie am Gang eine Zigarette rauchten.
„Bei der Gegenüberstellung hat unser Hauptzeuge einen der beiden identifiziert … jetzt brauchen wir uns wenigstens keine Sorgen machen, dass ihr Anwalt sie rausholt …“
„Ist der schon da?“
„Ich habe ihn noch nicht erreichen können …“
„Ach“, grinste Schäfer, „sprechen die beiden so undeutlich, dass du die Nummer falsch verstanden hast?“
„So in etwa … aber länger als bis heute Abend können wir das nicht machen … ich weiß zwar noch nichts über die Hintermänner, aber wenn da wirklich ein paar einflussreiche Russen dahinter stehen,
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