Ohnmachtspiele
und welche Prioritäten wir setzen.“
Kovacs sah ihn fragend an.
„Na gut“, seufzte Schäfer, „es geht darum, Todesfälle, die mit großer Wahrscheinlichkeit ohne Fremdeinwirkung passiert sind, so schnell wie möglich als solche zu deklarieren und uns auf die Dinge zu konzentrieren, die eher Staub aufwirbeln.“
„Ganz habe ich das immer noch nicht verstanden“, meinte Kovacs. „Wie groß muss denn die Wahrscheinlichkeit sein, damit ein Todesfall zum Mord wird oder umgekehrt?“
Schäfer schaute sie einen Augenblick schweigend an. Warum begannen ihn seine eigenen Gedanken zu nerven, sobald sie von jemand anderem artikuliert wurden?
„Das hängt in erster Linie davon ab, wie viele Leute wir haben und wie wichtig der Fall für die Statistik ist. Dementsprechend bin ich angewiesen worden, den Fall Ziermann nach Abschluss der Obduktion,
wenn bis dahin keine Hinweise auf Fremdverschulden aufgetaucht sind, abzuschließen.“
„Und damit sind Sie einverstanden?“ Kovacs lehnte sich zurück und sah ihn verwundert an.
„Hier geht es nicht darum, ob ich einverstanden bin. Hier geht es darum, welche Weisungen Sie bekommen und wo in der Hierarchie Sie stehen.“
„Ich habe Sie mir anders vorgestellt“, sagte sie herausfordernd.
Lästige Zecke, dachte Schäfer, nur weil du beim Nahkampftraining deine männlichen Kollegen aufs Kreuz legst, glaubst du jetzt, dass du hier auf lässig machen kannst.
„Wenn Sie wissen wollen, wie ich bin … dann tun Sie das, was ich Ihnen sage, und wenn es Unklarheiten gibt, dann kommen Sie zuerst zu mir, bevor Sie irgendwas nach oben tragen. Klar?“
„Klar.“
„Also dann in einer Stunde in meinem Büro“, beendete Schäfer das Gespräch und verließ den Tisch.
„Scheißsystem“, fluchte er, nachdem er sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte, und wartete vergeblich darauf, dass Bergmann ihn mit Worten oder nur durch einen Blick zum Weiterreden aufforderte.
„Die Kovacs“, fuhr er dennoch fort, „die kann eine gute Polizistin werden, das spüre ich … die hat eine seltene Kombination von Ehrgeiz und Ehrlichkeit … aber wie soll man da nicht frustriert werden, wenn gleich am Anfang einer daherkommt und von Statistiken, Hierarchien und so Dreck redet. Die soll Polizeiarbeit lernen, das Handwerk von Grund auf, die muss Blut lecken, ein Verbrechen riechen lernen … und nicht von diesem Politmist und Managergetue verdorben werden.“
„Dann bringen Sie es ihr bei.“
Schäfer schnaufte ärgerlich. Natürlich wollte er ihr das beibringen, natürlich hätte er sie gern auf den Fall Ziermann angesetzt. Da waren immerhin noch die Blutanalysen, die Ergebnisse der Spurensicherung, die Gesprächsnachweise der Telefongesellschaften und zahlreiche Befragungen ausständig. Doch was würde passieren, wenn er sie dafür abstellte? Sie würden ihn abmahnen, sobald sie Wind davon bekämen. Wie bei Keilern ging es inzwischen bei ihnen zu, schneller Abschluss, rasche Beförderung, eine Scheiße war das alles, schimpfte er in sich hinein und startete sein Mailprogramm. Strasser hatte eine Nachricht von der ungarischen Polizei weitergeleitet. Der Matrose hatte gegen halb zwei einen Mann an der Donau entlangspazieren sehen, in etwa eins achtzig groß und mit einem dunklen langen Mantel bekleidet. Möglicherweise hatte er auch einen Hut aufgehabt, daran konnte sich der Matrose nicht mehr genau erinnern, außerdem war es neblig gewesen. Schäfer kopierte die Informationen in ein Dokument, nahm das Telefon und bestellte Kovacs zu sich.
Er informierte sie über Strassers Mail und trug ihr auf, mit der Presse Kontakt aufzunehmen, die einen Zeugenaufruf bringen sollte. Dann fragte er sie, ob sie mit ihm mittagessen gehen wollte. Ein anderes Mal gern, meinte sie, aber sie müsse noch ziemlich viel aufarbeiten und würde sich nur eine Jause im Supermarkt holen.
„Ich habe sie eingeladen, um das von vorher aufzuklären“, wandte sich Schäfer an Bergmann, nachdem Kovacs das Büro verlassen hatte.
„Ich habe nichts gesagt“, antwortete Bergmann amüsiert, „und ich weiß auch nicht, was vorher passiert ist.“
„Nichts ist passiert … ich habe ihr nur … ich muss mich doch jetzt nicht rechtfertigen.“
„Nein“, meinte Bergmann, „im Gegenteil. Es wäre ja wünschenswert, wenn Sie wieder einmal, also …“
„Schluss jetzt mit dem Weiberkram … wo ist überhaupt die Liste mit den Gästen von der Wirtin vom Spukhaus oder wie das heißt?“
„Es heißt Schutzhaus …
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