Ohnmachtspiele
Blick durch den Raum wandern. Schon wieder eine junge Frau, dachte er beim Anblick der Toten, die nun mit krampfartig angezogenen Armen auf dem Teppich neben der Badewanne lag, und die ist bestimmt noch keine dreißig.
„Haben Sie die Tür aufgebrochen?“ Er drehte sich um und sah den Uniformierten an.
„Ähm … ja“, erwiderte dieser unsicher.
„War es schwierig?“
„Drei, vier Mal habe ich mich schon dagegenwerfen müssen.“
„Ich habe es ebenfalls versucht“, brachte sich der Ehemann ein, „da hat sich aber gar nichts gerührt.“
„Hat Ihre Frau sich öfter im Bad eingesperrt“, fragte Schäfer den Mann, der ihm fast zu beherrscht erschien.
„Eigentlich nicht, aber ich habe auch nicht immer nachgesehen, wenn sie im Bad war.“
„Wo waren Sie, bevor Sie nach Hause gekommen sind und das Bad verschlossen vorgefunden haben?“, wollte Bergmann wissen.
Der Mann zögerte einen Moment und sagte dann: „Bei einer Freundin.“
„Eine gemeinsame Freundin?“, setzte Bergmann nach.
„Nein …“
„Gehen wir doch hinunter und reden in der Küche weiter“, sagte Schäfer und gab dem Mann mit einer Handbewegung den Vortritt.
Als die Spurensicherung und der Gerichtsmediziner kamen, ließ Schäfer Bergmann mit dem Ehemann in der Küche allein und zeigte seinen Kollegen das Badezimmer.
„Ich will das Schloss“, sagte er zu einem der Beamten, „baut es aus und nehmt es mit ins Labor.“ Dann wandte er sich an Föhring.
„Notieren Sie sich bitte alles, was Ihnen auffällig vorkommt … und wenn es nur die Farbe des Nagellacks ist … ich will so schnell wie möglich wissen, was hier passiert ist … zeigen Sie, was Sie draufhaben.“
Bevor Schäfer wieder nach unten ging, öffnete er eine Tür am Ende des Flurs, wo er das Schlafzimmer vermutete. Er suchte den Lichtschalter und sah sich um. Aufgeräumt, kein Kleidungsstück, das auf dem Boden verstreut lag oder auch nur über eine Sessellehne hing. Wahrscheinlich hatten sie eine Putzfrau. Dürfen wir nicht vergessen zu befragen, sagte er sich. Auf einem der beiden Nachtkästchen sah er ein gerahmtes Ultraschallbild. Er nahm es in die Hand und betrachtete den Fötus. Eine plötzliche Trauer überfiel ihn und er stellte das Bild schnell auf seinen Platz zurück. Drei Bücher lagen dort: Mein Kind ist ein Engel, Strafrecht, Bürgerliches Recht, einer der beiden studierte offenbar Rechtswissenschaften, wobei Schäfer automatisch auf die Frau tippte. Auf dem anderen Nachtkästchen standen ein Radiowecker und ein halbvolles Wasserglas. Schäfer wurde unruhig. Er wartete darauf, dass der Raum ihm etwas erzählte, ihm einen Hinweis gab, der ihm mitteilte, was in den vergangenen Stunden in diesem Haus geschehen war. Sonst … sonst was? Hatte er jetzt schon Angst, erneut zu einem Abschluss gedrängt zu werden, bevor er sich überhaupt einen ordentlichen Überblick über die Verhältnisse verschaffen konnte, in denen die Tote gelebt hatte? Denn das trug maßgeblich zu Schäfers Verstimmtheit bei: dass ihm die Möglichkeit genommen wurde, sein Handwerk so auszuüben, wie er es gelernt und sich selbst beigebracht hatte. Er war kein Verkäufer auf Provisionsbasis, der auf der Weihnachtsfeier mit der besten Aufklärungsrate auftrumpfen wollte, seine Arbeit ließ sich nicht verwirtschaftlichen; der Polizei die Marktgesetze eines Unternehmens aufzwingen zu wollen, das konnte nur jemandem einfallen, der selbst nie … er musste aufhören, an dieses Arschloch von Minister zu denken, das raubte ihm nur noch mehr Energie, die er für seine Fälle brauchte … wobei er längst nicht mehr das Gefühl hatte, diese zu besitzen … was war denn mit Sonja Ziermann, der Toten aus der Donau, da musste er sich auf sein Gespür verlassen. Darauf, dass er bislang keine Zweifel an der Unschuld des Ehemanns hatte, den er nur einmal befragt hatte, ohne von dritter Seite viel über seine Ehe erfahren zu haben. Es gab erstaunliche Schauspieler, das wusste Schäfer, Menschen, denen die Maske abzureißen Wochen, oft Monate dauerte. Dann gab es Menschen, die in einem Affektsturm töteten und die Tat hernach aus Selbstschutz in ihrem Kopf so abspalteten, dass sie selbst an ihre Unschuld glaubten. Auch in solchen Fällen musste man die Zeit arbeiten lassen … die Zeit, die sie ihm nicht geben wollten, diese Schweine, Schweinesystem, ich muss mich zusammenreißen, ermahnte er sich, verließ das Schlafzimmer und ging in die Küche, um mit Bergmann die Befragung fortzusetzen.
Als sie
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