Ohnmachtspiele
beteiligte und sich dann nur die Haare waschen ließ – einen Haarschnitt verlangte er nämlich höchstens einmal im Jahr, zumal man vom einzigen Poster in der Auslage, das einen Mann zeigte, nicht genau sagen konnte, ob er schon schwarzweiß fotografiert worden war oder ihn die Sonne über Jahrzehnte gebleicht hatte. Als er Frau Sylvias Friseursalon zum ersten Mal aufgesucht hatte, war ihm die Besitzerin noch mit Misstrauen begegnet. Welcher Mann seines Alters und Status sucht denn einen Damensalon auf, der in den Sechzigerjahren eröffnet hatte und mit seiner Kundschaft mitgealtert war, und lässt sich dann nicht einmal die Haare schneiden? Doch die Frau hatte neben einem guten Herzen auch ein gutes Gespür. Sie hatte bald verstanden, dass ihr Salon für Schäfer eine Insel außerhalb der Zeit war, ein heiliger Ort friedfertig surrender Trockenhauben, ein symbolischer Busen, an dessen Wärme und Weichheit er sich schmiegen konnte. Auf ihre unschuldige Weise war sie in ihn verliebt. Und Schäfer wurde bei dem Gedanken, was nach ihrer Pensionierung mit dem Salon geschehen würde, weh ums Herz.
Er begrüßte die anwesenden Frauen, die er großteils kannte, ließ sich in seinen Fauteuil sinken und griff sich eine Illustrierte. Frau Sylvia meinte bedauernd, dass es noch ein bisschen dauern würde – auch das war Teil des Rituals, das bestimmte, dass Schäfer mindestens eine Stunde lesen konnte, bevor er sich zum Waschplatz begab.
Prinz Charles hatte seinem Sohn einen nur gerechten Rüffel erteilt, nachdem dieser sich bei einer Party nicht sehr standesgemäß verhalten hatte. Auch im dänischen Königshaus ging es zurzeit alles andere als harmonisch zu, was am verbitterten Gesicht der jungen Thronfolgerin nicht zu übersehen war. Zum Glück gab es da noch Freddy Quinn, der mit Ingrid van Bergen zu einem späten Liebesglück gefunden hatte. Dieses Glück und auch der Umstand, dass sich das Volksmusikduo Mechthild & Michael wieder zusammengerauft hatte, vermochten die kosmische Balance wieder herzustellen, um die sich Schäfer nach den ersten Seiten gesorgt hatte. Er legte die Zeitung weg und gab sich den Geräuschen und Gerüchen des Friseursalons hin. Nur in einer thailändischen Suppenküche hatte er vor vielen Jahren einmal eine ähnliche Atmosphäre erlebt: belebt und doch ohne Hektik, von einer heiteren Gelassenheit und Verhaftung im Moment, dass er gar nicht anders konnte, als tief entspannt zu sein.
„Sie wirken so zufrieden“, war das Erste, das Bergmann sagte, nachdem Schäfer das Büro betreten und sich in seinen Sessel hatte fallen lassen.
„Die Friedfertigkeit sich föhnender Frauen“, seufzte Schäfer und überlegte, ob er den Computer hochfahren sollte. „Wie gefällt Ihnen mein Haarschnitt?“
„Ja … kurz halt … die Kollegen stehen übrigens schon Gewehr bei Fuß.“
„Wieso … ach, die Hausdurchsuchung … hätte ich fast vergessen … muss wohl an dem Schlag liegen, der mich gestern …“
„Ja ja“, murrte Bergmann, „lassen Sie es mich bloß nicht vergessen.“
Schäfer hatte kein gutes Gefühl, als er die Villa betrat. Zum einen war ihm Matthias Rudenz nicht unsympathisch, und er traute ihm einen derart kaltblütigen Mord einfach nicht zu. Zum anderen war es eine widersinnige Annahme, dass sie – vorausgesetzt, Rudenz hatte seine Frau wirklich planmäßig ertränkt – irgendwelche Beweismittel finden könnten. Aber wer sich einen Durchsuchungsbefehl kaufen kann, ist über solche Argumente sowieso erhaben.
Während seine Kollegen ihre Kartons füllten und im Haus das übliche Chaos anrichteten, streifte Schäfer durchs Haus und zog höchstens einmal eine Schublade auf. Ein Bibliotheksausweis, eine abgelaufene Mitgliedskarte für einen Fitnessclub, Ansichtskarten von den Malediven, Seychellen, Ibiza.
„Major!“, holte ihn jemand aus seinen Betrachtungen. Schäfer drehte sich um und sah einen der Beamten einen entzweigeschnittenen Kleiderbügel in der Hand halten, der zu einem Haken gebogen war.
„Den habe ich benützt, weil ich immer wieder den Autoschlüssel innen habe stecken lassen“, erklärte Rudenz, der auf der Couch saß und seit ihrer Ankunft eine halbe Flasche Rotwein getrunken hatte.
„Na dann“, meinte Schäfer, „zeigen Sie uns, wie das geht.“
Rudenz stand auf und führte sie in die Garage, wo neben dem Cabrio seiner Frau ein alter Saab stand, der tatsächlich noch nicht mit einer Fernbedienung funktionierte. Schäfer hielt Rudenz den Drahtbügel hin
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