Ohnmachtspiele
es oft in so einem Clan ist“, sagte er schließlich, „es gibt reichlich Spannungen und Konflikte, aber in letzter Konsequenz hält die Familie zusammen wie Pech und Schwefel.“
„Die Geschwister verstehen sich gut?“
„Gut … was die Vermögenssituation betrifft, müsste keines der vier Kinder je arbeiten. Zudem sind die Eltern noch weit davon entfernt, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen … von daher … fragen Sie mich in zwanzig Jahren noch einmal und wir werden sehen, ob Blut dicker ist als Geld …“
Als Schäfer und Bergmann aus dem noblen Altbau auf die Straße traten, begann mit der Dunkelheit auch ein unentschlossener Regen einzusetzen – die Sorte, bei der Männer gerade noch keinen Schirm aufspannen.
Schäfer war immer noch aufgedreht. Gut zwei Monate war er nun fast jeder sportlichen Aktivität ausgewichen, kein Nahkampftraining, kein Schwimmen, höchstens einmal in der Woche ein Spaziergang im Wienerwald. Und mit einem Mal schienen seine Körperzellen aus der Betäubung erwacht und fingen an, nervös auf der Stelle zu treten wie junge Rennpferde vor dem Start.
„Gehen Sie mit mir laufen, heute Abend?“, wandte er sich an Bergmann.
„Heute ist Nahkampftraining.“
„Ah … auch gut … war ich ohnehin schon zu lang nicht mehr.“
„Vielleicht sollten Sie für den Anfang lieber bei den Frauen mitmachen.“
„Bergmann, ich werde Sie heute zurichten, dass Sie glauben, mit einer polnischen Kugelstoßerin im Bett gewesen zu sein.“
Um Punkt fünf kam Kovacs in Schäfers Büro und teilte ihm mit, wie es ihr bei den Befragungen ergangen war. Rudenz’ Kommilitoninnen hatten in etwa das Bild bestätigt, das ihnen Lopotka von der jungen Frau gezeichnet hatte. Nach der Hochzeit euphorisch und im Prinzessinnenhimmel, nach der Fehlgeburt abwechselnd jähzornig und depressiv, zudem hatte sie sich mehr und mehr aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld zurückgezogen. Und wo sie den ersten Studienabschnitt in der Mindestzeit absolviert hatte, war sie in den letzten beiden Semestern zu keiner einzigen Prüfung angetreten. Wobei die Gründe für diese zunehmende Isolation ziemlich sicher auch im Verhalten ihrer Freundinnen lagen, wie Kovacs meinte. In der jugendlichen Hermes-Tuch-und-Perlenohrstecker-Fraktion der juristischen Fakultät würden Schwermut und Selbstzweifel offenbar als ekliger Ausschlag gesehen, von dem man sich besser fernhielt. Wenn man sich wo ansteckt, dann höchstens nach Sperrstunde beim Promillefick mit dem feigenwarzenbehafteten Barmann. Der Doktor wird’s schon richten.
„Gut“, unterbrach Schäfer Kovacs, die sich aus ihm unerklärlichen Gründen immer mehr in Rage redete, „gibt’s auch etwas Brauchbares?“
Womöglich, ja, sie hatte mit einer jungen Frau gesprochen, die über den Tod von Laura Rudenz ehrlich bestürzt zu sein schien und deren Informationen sich von den anderen deutlich unterschieden. Eine Freundin aus dem Gymnasium, mit der sich Rudenz in unregelmäßigen Abständen, etwa fünfmal im Jahr, traf. Zwei Wochen vor dem Unglück waren sich die beiden Frauen zufällig in der Stadt begegnet und in ein Kaffeehaus gegangen. Und bei diesem Treffen soll Rudenz laut Aussage ihrer Freundin sehr fröhlich gewirkt haben. Dass ihre Ehe am Ende war, sah sie als bedauerlich an, auch die Sache mit dem Kind würde sie noch länger beschäftigen, doch alles in allem schien sie sich im Griff zu haben. Und auch wenn Rudenz nichts davon erwähnt hatte, mutmaßte ihre Freundin dennoch, dass sie verliebt war.
„Davon hat bisher keiner etwas erwähnt“, zeigte sich Schäfer erstaunt.
„Ich weiß“, erwiderte Kovacs, „unter anderen Umständen würde ich dieser Aussage deshalb auch keine große Bedeutung beimessen … aber diese Frau war so ziemlich die Einzige, der wirklich etwas an Rudenz lag …“
„Ihre Aversion gegen Reich und Schön hat diese Erkenntnis nicht beeinflusst?“
„Wie meinen Sie das?“
„Dass sich vielleicht ein paar der Befragten Ihnen gegenüber nicht öffnen wollten, weil sie Ihre Abneigung gespürt haben?“
„Ich komme von einem Bauernhof mit sechs Kindern“, erwiderte Kovacs gereizt, „wenn man mir das anmerkt, tut es mir nicht leid.“
„Kein Vorwurf“, winkte Schäfer ab, „lassen Sie mir den Namen der Freundin da, die das mit dem Liebhaber gesagt hat. Das Protokoll brauchen Sie heute nicht mehr zu schreiben.“
„Mache ich aber“, sagte Kovacs, stand auf und verließ den Raum.
„Was war das denn jetzt?“, fragte
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