Ohnmachtspiele
War sein Assistent denn tatsächlich so viel größer als er?
Am Tag, an dem sie starb, hatte Laura Rudenz mit vier verschiedenen Personen telefoniert. Drei der Nummern waren ihnen bekannt: die Mutter, eine gute Freundin und ihr Mann, den sie zwischen neun und halb zehn sechs Mal angerufen hatte – wobei die Anrufdauer nahelegte, dass er nicht abgehoben hatte. Als Schäfer die vierte Nummer wählte, meldete sich die Sekretärin einer Anwaltskanzlei. Sie verträten die Familie Laska in zahlreichen Belangen, erklärte die Frau auf Schäfers Nachfrage, und an besagtem Tag hätte Laura Rudenz wahrscheinlich mit Herrn Lopotka gesprochen. Nachdem Schäfer ein paar Minuten in einer Vivaldi-Warteschleife verbracht hatte, erreichte er den Anwalt und bereitete ihn darauf vor, dass sie in der nächsten Stunde bei ihm erscheinen würden.
Wie weit war eigentlich Kovacs mit den Befragungen gekommen? Schäfer wählte ihre Durchwahl und wurde aufs Mobiltelefon umgeleitet. Sie wäre gerade auf der Uni, wo sie mit einer Freundin von Laura Rudenz spreche. Gut, sie solle gegen fünf zu ihm kommen. Der Laptop – gab es da schon irgendwelche Ergebnisse?
„Hat die IT den Computer von der Rudenz schon durch?“
„Ich sitze nur drei Meter von Ihnen entfernt“, meinte Bergmann amüsiert, „und schwerhörig bin ich auch nicht. Die Liste der E-Mails und die Internetzugriffe des letzten Monats haben wir schon … die Festplatte wird noch ausgewertet.“
„Und?“
„Auf den ersten Blick würde ich sagen, unauffällig. Im Browserverlauf Online-Zeitungen, Facebook, Amazon, ein paar Fachseiten, dazu der übliche Webstumpfsinn … an den E-Mail-Kontakten sind Kovacs und Schreyer bereits dran …“
„Schicken Sie mir das alles …“
„Per Post?“, fragte Bergmann und reichte Schäfer eine Klarsichthülle über den Tisch.
„Was … ach so, ich dachte wegen Internet und so, dass das … na gut … danke.“
Die Anwaltskanzlei befand sich im ersten Bezirk, also gingen sie zu Fuß. Lopotka empfing sie freundlich, bot ihnen etwas zu trinken an und machte sich erst gar nicht die anwaltstypische Mühe, von Schweigepflicht oder Vertrauensverhältnissen zu sprechen.
„Sie wollte sich scheiden lassen“, sagte er, nachdem Schäfer und Bergmann im Besprechungszimmer Platz genommen hatten.
„Was haben Sie ihr geraten?“, wollte Schäfer wissen.
„Ich habe ihr gesagt, dass sie noch abwarten soll, bis sich ein eindeutiger Scheidungsgrund ergibt, der ihren Mann als Alleinschuldigen darstellt und damit ihr Vermögen so gut wie möglich absichert.“
„Seine Affäre?“
„Eben … aber da war die Beweislast noch nicht stark genug. Diesbezüglich habe ich ihr geraten, einen Privatdetektiv zu engagieren. Aber in letzter Zeit war sie rationalem Denken eher verschlossen.“
„Wie hat sich das bemerkbar gemacht?“
„Ich hasse dich, verlass mich nicht … um ein klassisches beziehungsdynamisches Schema zu zitieren. An einem Tag wollte sie ihn umbringen lassen, und das hat sie durchaus ernst gemeint, dann lag sie wieder zu seinen Füßen und hat ihn angefleht, dass er bei ihr bleiben soll.“
„Trauen Sie Matthias Rudenz einen Mord zu?“, fragte Bergmann.
„Ich weiß es nicht“, meinte der Anwalt nach kurzem Überlegen, „ich kenne ihn persönlich nicht, nur aus den Berichten von Frau Rudenz. Und von daher hätte ich eher auf einen wenig affektiven Charakter geschlossen. Aber man täuscht sich oft genug in Menschen, das muss ich Ihnen ja wohl nicht sagen.“
„Gab es eigentlich einen Ehevertrag?“
„Nein, leider nicht. Zur Zeit der Hochzeit war sie euphorisch und wollte nichts von einem Vertrag wissen, der die Beziehung von vornherein mit Misstrauen belastet hätte, wie sie sich ausgedrückt hat.“
„Wissen Sie, ob die Familie ein Zivilverfahren gegen Matthias Rudenz anstrebt?“
„Darüber darf ich keine Auskunft geben … es gibt eindeutige Ressentiments gegen Herrn Rudenz, so viel kann ich Ihnen sagen. Doch die weiteren rechtlichen Schritte hängen natürlich in erster Linie von den Ergebnissen Ihrer Ermittlungsarbeit ab … von denen Sie mir jetzt klarerweise nichts mitteilen dürfen, nehme ich an …“
„Richtig geraten, Herr Lopotka“, sagte Schäfer, „aber auch wenn ich dürfte, würde ich damit bald fertig sein, so viel kann ich Ihnen verraten.“
„Wie war das Verhältnis zwischen Laura und ihrer Familie?“, hakte Bergmann ein.
Lopotka sah aus dem Fenster und schien angestrengt nachzudenken.
„Wie
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