Ohnmachtspiele
Ihnen ab, das geht auch.“
„Gut … ich werde nachschauen. Schönen Abend noch.“
„Ihnen auch. Danke für den Anruf“, schloss er, „ich freue mich, wenn Kollegen von anderen Ressorts uns ihre Unterstützung anbieten, das ist gut.“
„Ja, gern“, sagte sie und legte auf. Im nächsten Moment begann die Werbepause.
Schäfer stellte den Ton ab und dachte daran, was Koller ihm erzählt hatte: dass ihm so ein Fall schon einmal untergekommen war? Dass er darüber gelesen hatte? Egal, sagte er sich, muss ja nicht jeder Mord kreativ sein, mit einem einzigen Film von Edgar Wallace hat man ja auch schon mindestens fünf gesehen, kann ja trotzdem spannend bleiben, darf man sich nur nicht zu viel erwarten, dachte er und stellte den Ton wieder an.
Kurz vor zwölf stand er im Badezimmer und beobachtete sich beim Zähneputzen. „Wie kann man so blind sein?“, raunzte er sein Spiegelbild an, spuckte den Zahnpastaschaum ins Waschbecken und spülte den Mund aus. Harald und Sonja, ein Herz und eine Seele, der König und seine Dame, die Königin seines Herzens, die Herzensdame. Und dann der Rudenz, die Rudenz … war denn sein Kopf schon so vom Schnaps zerstört, dass ihm das nicht schon am Abend aufgefallen war, als er in Mauerbach Karten spielen war? Er ging ins Wohnzimmer, griff sich sein Telefon, suchte eine Nummer heraus und drückte die Wähltaste.
„Robert“, rief er in den Apparat, „Entschuldigung, dass ich so spät anrufe, aber kannst du mir einen Gefallen tun …“
„Sicher … wenn du nicht die Aurora zurückhaben willst …“
„Nein … kannst du die Spielkarten holen und mir die Namen vorlesen?“
„Welche Namen?“
„Die Figuren, da stehen doch Namen daneben.“
„Na, warte einen Moment … jetzt … willst du mitschreiben?“
„Ja, geht schon …“
„Also: Rudolf Harras beim Eichelunter, Hermann Geszler beim Herzober, Wilhelm Tell beim Eichelober, Walter Fürst beim Laubunter, Itell Reding beim Schellunter, Ulrich Rudenz beim Laubober, Kuoni der Hirt beim Herzunter, Stüssi der Flurschütz beim Schellober … willst du mir nicht erklären, wozu du das brauchst?“
„Später … jetzt muss ich schnell was erledigen. Danke dir, ich melde mich.“
„Schon gut.“
Schäfer spürte, wie sein linker Brustmuskel zuckte, als er die Liste durchging: die Ziermann, das Königspaar in Herz, dann die Rudenz als Ober in Laub. Was sollte er jetzt tun … was konnte er jetzt überhaupt tun? Dann passte plötzlich noch ein weiterer ins Bild: der Schweizer, Willi, Wilhelm Tell, der Eichelober, hatten sie ihn nicht unter einer Eiche gefunden? Ha, da war sie wieder, die Schäfer’sche Intuition, das Gen, das ihn von den Kleingeistern trennte, der Grund, warum der Innenminister trotz seines Amtes immer ein klägliches Würstchen bleiben würde. Da war er, Schäfer is back!
Er griff zum Telefon.
„Bergmann“, rief er in den Apparat, „ich bin ein Genie.“
„Und die Uhrzeit ist der Wahnsinn dazu“, antwortete Bergmann schlaftrunken.
„Wir müssen den Rudenz festnehmen!“
„Was?“ Bergmann war nun endgültig wach. „Wir haben nicht einmal einen Haftbefehl.“
„Das macht nichts … ziehen Sie sich an, ich hole Sie ab!“
Er polterte das Stiegenhaus hinunter, lief zu seinem Auto, startete, ignorierte das Schaben des Kotflügels und setzte das Blaulicht aufs Dach. Eine unnötige Aktion, da kaum Verkehr war, doch das blaue Zucken und das Auf- und Abschwellen des Martinshorns erfüllten ihn in Momenten wie diesem auch nach über fünfzehn Jahren noch mit kindlichem Stolz. Das Signalhorn der Kavallerie, aus einer Staubwolke am Horizont galoppieren die kühnen Blauröcke heran, um das bedrängte Fort in letzter Minute zu retten.
Bergmann öffnete ihm mit einer Tasse Kaffee in der Hand und ließ ihn eintreten.
„Wollen Sie auch einen?“
„Na gut … aber machen Sie schnell.“
„Bei allem Respekt“, meinte Bergmann, während er das Kaffeesieb einspannte, „aber ich würde schon gern wissen, auf welcher Grundlage wir ihn festnehmen, wenn schon kein Haftbefehl vorliegt.“
Schäfer setzte sich an den Küchentisch und holte die Liste der Namen hervor.
„Da, schauen Sie: drei Opfer, drei passende Figuren … und entweder der Rudenz hat was damit zu tun oder er ist selbst in Gefahr.“
Bergmann stellte Schäfers Tasse auf den Tisch, setzte sich und sah die Liste durch.
Er nahm einen Schluck Kaffee, sah seinem Chef in die Augen und senkte dann den Blick.
„Das geht nicht
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