Ohnmachtspiele
durch“, sagte er vorsichtig, „damit machen wir uns lächerlich … im besten Fall.“
Schäfer sah ihn verdutzt an.
„Sie wollen mich auf den Arm nehmen, oder? Wir haben hier drei unaufgeklärte Morde, dann finde ich endlich einen Zusammenhang, und Sie …!“
„Tut mir leid“, meinte Bergmann schließlich, „ich kann da nicht mitmachen … wir haben keine unaufgeklärten Morde, wir haben unklare Todesfälle … unter Umständen keinen einzigen Mord … so sehr ich Ihre Intuition sonst schätze … aber das geht zu weit.“
Schäfer blieb ein paar Minuten sprachlos am Tisch sitzen, dann stürzte er seinen Kaffee hinunter, verbrannte sich dabei die Zunge, fluchte und sprang auf.
„Na gut“, sagte er wütend und atmete tief durch, „dann ziehe ich das allein durch.“
Er blieb zwischen Küche und Vorraum stehen und wartete. Dann drehte er sich um, öffnete die Wohnungstür und zog sie von außen heftiger als nötig zu.
Wieder im Auto, zündete er sich eine Zigarette an, warf sie nach der Hälfte aus dem Fenster und klammerte seine Hände ums Lenkrad, um seine zitternden Nerven in Griff zu bekommen. Bergmann, der Kleingeist! Andererseits: Er konnte sich mächtig blamieren mit seiner Geschichte, da hatte sein Assistent wohl recht. Doch seine Intuition: Immer existieren Zusammenhänge, alles setzt sich irgendwie zusammen, Kinder fangen bei einem Puzzle willkürlich irgendwo in der Mitte an, dennoch entsteht irgendwann ein Bild. Also war er den anderen entweder voraus oder völlig auf dem Holzweg. Egal, er startete den Wagen und fuhr los. Als er in die Einbahnstraße einbog, in der das Haus der Rudenz stand, drehte er die Scheinwerfer ab und ließ den Wagen auf niedrigsten Touren an der Villa vorbeirollen. Die Halogenleuchten, die in den Kiesstreifen rund um das Haus eingelassen waren, bestrahlten es wie eine Sehenswürdigkeit – doch drinnen war in keinem Raum Licht zu sehen. Schäfer suchte sich einen Parkplatz, der nicht direkt vor dem Haus lag, und wartete. Nach ein paar Minuten stieg er aus, ging zur Eingangstür und läutete. Nach einer Weile noch einmal. Verdammt, dachte er laut. Er ging ums Haus und spähte durch die Terrassentür hinein. Dann blickte er sich um, griff sich die Gartenschlauchtrommel und schlug sie dreimal gegen die Tür, bis das Glas brach. Die Alarmanlage heulte auf. Schäfer stieg durch den Rahmen, zog vorsichtshalber seine Dienstwaffe und suchte nach einem Lichtschalter. Da ging plötzlich die Deckenbeleuchtung an und er sah Rudenz am Geländer der Galerie im ersten Stock stehen.
„Was zum Teufel machen Sie hier?“, fragte er mehr verwundert als verärgert.
„Das ist nicht ganz so leicht zu erklären“, meinte Schäfer, ließ sich in einen Fauteuil sinken und wartete betreten, bis er das Martinshorn des Streifenwagens hörte.
15
Klaus Kinski im Film des Vorabends war nichts gewesen gegen Kamp, den es nun keine zehn Sekunden in seinem Sessel hielt. Wie ein amphetaminverseuchter Exorzist hetzte er durch sein Büro, riss immer wieder die Hände nach oben, als wolle er Schäfer persönlich den Teufel austreiben.
„Sie sind“, rief er schließlich und stützte sich mit den Fäusten auf die Schreibtischplatte, „geisteskrank! Verrückt, schlichtweg verrückt!“
Schäfer saß zusammengesunken in einem Lederfauteuil und drehte einen Druckbleistift zwischen den Fingern. Er hob seinen Blick, wollte etwas erwidern, doch der Oberst kam ihm zuvor.
„Jetzt weiß ich auch, woher diese zeitweiligen väterlichen Gefühle kommen“, sagte Kamp und stellte sich hinter Schäfer, „weil Sie immer das Gegenteil von dem tun, was ich Ihnen auftrage. Renitent, aufsässig … das bin ich gewohnt … aber dass Sie mir so in den Rücken fallen …!“
„Ich bin Ihnen doch nicht in den Rücken gefallen“, erwiderte Schäfer kleinlaut.
„Ach.“ Kamp setzte sich mit einer Gesäßbacke auf den Schreibtisch. „Wie wollen Sie das denn nennen: wenn Sie ein Rauschgiftopfer, eine tragisch Verunglückte und eine Frau, die genauso gut ohne Fremdeinwirkung ertrunken sein kann, zu Opfern eines Serientäters deklarieren … auf Basis einer Hypothese, die … mein Gott, Schäfer … Spielkarten! … Geht’s denn noch abstruser?“
„Es ergibt einen Sinn …“
„Sinn?!“, blaffte Kamp ihn an, ging die paar Schritte zu seinem Bücherregal und knallte Schäfer dann ein schweres Taschenbuch auf die Armlehne.
„Einführung in den Konstruktivismus … das lesen Sie. Oder Sie ziehen sich für
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