Ohnmachtspiele
Diese Sache mit den Spielkarten ein für alle Mal ad acta legen. Dann konnte er sich seine Ermittlungen sonst wo hinstecken. Aber woher wusste er überhaupt …? Schäfer nahm sein Telefon und rief Strasser an.
„Haben Sie mit dem Oberst geredet?“, bellte er in den Hörer.
„Es blieb mir nichts anderes übrig“, gestand Strasser verlegen, „er ist gestern Abend noch ins Büro gekommen und wollte wissen, wo wir stehen. Und da Sie nicht mehr da waren, habe ich eben …“
„Na gut“, seufzte Schäfer, „also bis nachher.“
Die Zeit bis zur Besprechung nutzte er, um seine Berichte zu überarbeiten und einige Formulierungen einzubauen, mit denen er die Staatsanwältin zu beeindrucken hoffte. Dazu griff er zum Fachbuch eines wichtigtuerischen FBI-Agenten, der mit Ausdrücken wie Geoprofiling und Verhaltensprint hausieren ging, um den übertriebenen Aufwand seiner Ermittlungen zu entschuldigen. Selbst Bergmann hatte das Buch nach zehn Seiten weggelegt, weil es ihm zu dämlich war. Seitdem lag es im Regal und diente als Quelle heißer Luft, mit der sie Vorgesetzte und Presseleute bisweilen abspeisten.
„In Anbetracht der für Serientäter typischen disproportionalen temporären Entwicklung ihrer Delikte – einer sogenannten ‚delinquent acceleration‘ (Belzac, 1992) – ist es auch ohne tiefer greifende Verdachtsmomente ratsam, der vorherrschenden Sachlage mit einem verstärkten Ermittlungsdruck zu begegnen. Na, wie klingt das?“
„Plausibel … damit werden Sie bestimmt punkten.“
Kamp begann die Besprechung, indem er die wichtigsten Ereignisse und Ermittlungsergebnisse zusammenfasste – wobei er den Fall des Schweizers außen vor ließ. Dann ersuchte er Schäfer, die Anwesenden über seine Hypothesen aufzuklären und weitere Vorgehensweisen vorzuschlagen. So einleuchtend seine Theorie für Schäfer selbst war, so verloren fühlte er sich, als er sie seinen Kollegen, seinem Vorgesetzten und der Staatsanwältin vortrug. Es fehlte die Substanz, die alles zusammenhielt, die nur in seinem Kopf vorhanden war. Zudem gehörten Serienmörder in Österreich noch immer zu einer raren Spezies. Klar, es gab Fuchs, Unterweger und ein paar weitere psychopathische Frauenmörder; aber eben nicht in dem Ausmaß, in dem ihre Kollegen in den USA damit konfrontiert waren, bei denen sich zahlreiche Abteilungen nur mit solchen Verbrechen beschäftigten. Als Schäfer und Bruckner vor Jahren zu einem Fortbildungsseminar beim FBI in Philadelphia gewesen waren, saßen sie jeden Abend kopfschüttelnd in der Hotelbar und erzählten sich gegenseitig, was sie untertags gehört und gesehen hatten, um sich zu vergewissern, dass sie nicht geträumt hatten. Albträume, naturgemäß: Spiele, Psalmen, Zahlencodes, Geburtstage, Mondphasen, Sternzeichen … kaum ein Muster, dessen sich noch kein Serientäter bedient hatte. Und je abartiger das Vorgehen war, desto wahrscheinlicher war es, dass die Ermittler es bald darauf mit einer
copy-cat
zu tun bekämen – einem Trittbrettfahrer, der seinen eigenen Mord dem Serienmörder in die Schuhe schieben wollte. Ganz zu schweigen von den
copy-killers
, die sich darauf spezialisierten, das Vorgehen von Serientätern nachzuahmen. Wenn die Polizei im Kühlschrank eines heruntergekommenen Hauses in einer heruntergekommenen Vorstadtsiedlung ein paar abgetrennte Köpfe fand, lag mit ziemlicher Sicherheit irgendwo die Biografie von Jeffrey Dahmer herum. Unter diesen Voraussetzungen würden vier ungeklärte Todesfälle, die sich mit einem Päckchen Spielkarten in Verbindung bringen ließen, bei diversen Special Agents sofort die Alarmglocken schrillen lassen … doch in Österreich … was Schäfer anging, konnte es ruhig dabei bleiben; auch wenn es für ihn nur eine Frage der Zeit war, bis dieses Phänomen auch in seinem Dezernat zum Tagesgeschäft gehörte. Als er seinen Vortrag beendet hatte, schauten sich Kamp und die Staatsanwältin unschlüssig an.
„Oberst Kamp?“, ersuchte Wörner diesen um eine Stellungnahme.
„Ja“, begann Kamp zögerlich, „vorausschicken will ich, dass ich die Arbeit von Major Schäfer sehr schätze. Sein Vorstellungsvermögen in Bezug auf besagte Vorfälle ist bewundernswert …“
„Aber!“, rutschte es Schäfer heraus und er erntete sofort einen mürrischen Blick von Kamp.
„Nichtsdestotrotz“, fuhr der Oberst fort, „kann ich den Vorschlägen von Major Schäfer nicht meine volle Zustimmung erteilen. Gerade in Anbetracht der personellen Besetzung und der
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