Ohnmachtspiele
aufzunehmen … noch weniger, wenn es sich um ein Gewaltverbrechen handeln sollte … vielleicht sollten wir ein wenig das Tempo herausnehmen … uns um eine objektivere Einschätzung bemühen …“
„Den Teufel werden wir.“ Schäfer setzte sich an seinen Computer und erstellte einen neuen Ordner.
Vier Stunden brachte er ohne Pause damit zu, Fakten und Verdachtsmomente so zu strukturieren, dass sie ein Ermittlungsverfahren begründen könnten. Wobei ihm das Fehlen eines Verdächtigen am meisten störte. Er kannte Kamp und dessen bürokratische Art – hinter der allerdings auch ein schlauer und erfahrener Kriminalist steckte, der sich von Schäfer nicht gern täuschen ließ. Unzulässige Verdachtsermittlung – das war das meistgebrauchte Schlagwort, mit dem der Oberst ihn immer wieder maßregelte. Wir gehen konkreten Verdachtsmomenten nach, Major. Aber es ist uns nicht gestattet, einen Verdacht willkürlich zu ermitteln. Wir schnüffeln nicht so lange am Boden herum, bis wir etwas finden, das stinkt. Schließlich sind wir Polizisten, keine Hunde. Aber was konnte er dagegen tun? Wenn sich bei ihm ein Verdacht meldete, der an kein anderes Hirn klopfte. Dann machte er eben erst einmal auf und ließ den Gast herein. Man darf sich die Geschichte ja wohl einmal anhören; unverbindlich plaudern. Hinausschmeißen kann man ihn später immer noch.
Um sechs traf er sich mit seinem Therapeuten zur wöchentlichen Sitzung. Im Nachhinein erschien ihm der Termin seltsam, vor Ort war er ihm sogar unangenehm gewesen. Es war ihm nicht möglich, sich zu konzentrieren. Auf die einfachsten Fragen konnte er nicht antworten. Er verstand sie, aber sie dockten nirgends an. Ein Nebel hatte sich zwischen ihn und den Therapeuten gelegt, er war zu keiner klaren Kommunikation fähig. Als er dieses Phänomen nach einer halben Stunde ansprach, erwiderte der Therapeut nur, das wäre ganz normal. Schäfer müsse das doch in seiner eigenen Arbeit erfahren haben, wenn sich jemand partout nicht zu etwas bekennen wolle. Nicht bewusst leugnete, um so einer Strafe zu entgehen, sondern weil er eine Sperre eingerichtet hat, um sich selbst zu schützen. Und wieder verstand Schäfer, was der Therapeut sagte, und wieder blieb die Bedeutung irgendwo hängen.
Bevor er nach Hause ging, traf er sich mit Bruckner in einer Bar im neunten Bezirk. Wie immer sprachen sie über die Arbeit: Der Mord an einem Türken stand vor der Aufklärung, der Aussageverweigerung so gut wie aller Zeugen hatte Bruckner ein paar Razzien und Besuche des Gesundheitsamts in einschlägigen Lokalen entgegengesetzt. Und nachdem ein paar Gewerbeberechtigungen entzogen und zwei Betriebe sofort geschlossen worden waren, hatten die Ersten zu reden begonnen.
„Das nächste Mal werft ihr ihn in den Garten der türkischen Botschaft und lasst die die Arbeit machen“, meinte Schäfer und verrührte den Zucker in seinem Pfefferminztee.
„Verkappter Faschist.“ Bruckner schmunzelte und nahm einen Schluck aus dem Bierglas.
„Wie hast du überhaupt die Leute bekommen? … Ich meine: ohne Überstunden wird das mit den Razzien nicht abgegangen sein, oder?“
„Diplomatie“, erwiderte Bruckner, als ob er das Wort aus dem Lexikon vorläse.
„Ach ja. Gibst du mir Nachhilfe?“
„Ich hab dem Mugabe erklärt, dass wir einen Hauptverdächtigen haben. Ich habe ihm versprochen, den Fall binnen einer Woche abzuschließen. Wenn er mir das Personal gibt.“
„Ah, die Statistikkarte, sehr raffiniert. Und wenn es schiefgegangen wäre?“
„Dann hätte ich ihn in den Garten der türkischen Botschaft geworfen.“ Bruckner lächelte und trank die zweite Hälfte seines Biers in einem Schluck.
Als Schäfer sein Wohnhaus betrat und den Postkasten aufsperrte, steckte neben einem Stapel Werbeprospekte auch ein Gratisexemplar eines Automagazins darin. Zweihundert Seiten, die neuesten Tests, alle Gebrauchtwagenpreise, blablabla. Er nahm das Papier und ging zur Altpapiertonne. Warf die Prospekte hinein und behielt das Magazin. Nicht dass er daran dachte, es zu lesen, doch die aufwendige Aufmachung und der reguläre Kioskpreis verleiteten ihn jedes Mal dazu, solche Geschenke ein paar Tage in der Wohnung zu behalten und erst dann zu entsorgen. Konservative Wertvorstellungen, Tiroler Erziehung.
Nachdem er sich geduscht hatte, bereitete er sich einen griechischen Salat ohne Oliven und Gurken zu, schenkte sich ein Glas Weißwein ein und setzte sich an den Küchentisch. Während er aß, blätterte er in dem
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