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Ohnmachtspiele

Ohnmachtspiele

Titel: Ohnmachtspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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Zugdach-Surfen, Drogenschmuggel … nichts, das Schäfer fremd war. Doch wieso brauchte man dafür ein Punkteranking? Warum diese halsbrecherischen Initiationsrituale in einen Wettbewerb verwandeln und noch dazu – die Exekutive dankt – digital archivieren? Ergab das irgendeinen Sinn? „Sinn …“, meinte Martin schulterzuckend und gab Schäfer damit die Antwort, die er ohnehin schon gekannt hatte. Denn worin unterschied sich die Sinnlosigkeit, mit der er sich in den letzten Monaten quälte, schon groß von jener dieser jungen Männer. Die Welt, in der sie lebten, war schließlich großteils die gleiche, das Tempo, das ihnen vorgegeben war, die scheinbaren Freiheiten, das trügerische Versprechen, dass ihnen alles offenstünde, im Gegensatz dazu die Forderungen, die sie zu erfüllen hatten, um nicht aus dem System zu fallen, das sie immer weniger durchschauten, die Ängste vor dem Versagen, vor dem Ausgeschlossensein, dazu die wohl alle Jugendlichen beizeiten anfallende Langeweile und die gefühlte Sinnlosigkeit, der sich die beiden erwehren hatten wollen. Und wie wehrt man sich, wenn man fortlaufend Ohnmacht und Geringschätzung erfährt: Gewalt, Resignation, Depression, Selbstzerstörung, Aggression nach innen oder außen – Schäfer hütete sich davor, seinem Gegenüber allzu offen über seine eigenen Eskapaden zu berichten; doch nach einer guten Stunde erkannte er, dass ihm Martins Sicht der Dinge sehr vertraut war, dass ihm der junge Mann sympathisch war.
    Gegen sieben verließen sie gemeinsam das „Cobra“. Auf Schäfers Aufforderung hin begleitete sie Martin ein Stück, aus dem schließlich der ganze Heimweg wurde. In der Einfahrt verabschiedete Schäfer sich schnell von ihm und ließ die beiden allein. Was ihn betraf, so hätte er nichts dagegen, wenn seine Nichte öfter von jemandem nach Hause begleitet würde. Vor allem von jemandem, dem die Gesellschaft, wie er sie zurzeit vorfand, nicht geheuer war.
    Nach dem Abendessen schauten sie sich gemeinsam die Verfilmung eines Comics an, den Schäfer noch aus seiner Jugendzeit kannte. Lisa hatte zwar vorgeschlagen, in ein Lokal zu gehen, wo jeden Samstag heimische Bands spielten, doch dazu konnte sich Schäfer bei aller Liebe nicht aufraffen. So lagen sie auf der Couch und sahen dem Rächer mit der weißen Maske zu, der die korrupten Mächtigen so gerechtfertigt wie unbarmherzig dahinmetzelte und sich das gefrorene Herz von einer verfolgten Stadtstreicherin auftauen ließ. Als Schäfer im Bett lag, konnte er lang nicht einschlafen. Die Pressekonferenz, die ihm am Montag hundertprozentig bevorstand – die er provoziert hatte und der er sich dennoch nicht gewachsen fühlte; das Gespräch mit Martin; dass die Realisierung eines Computerspiels so außergewöhnlich nicht wäre; er kenne genug, die das auf die eine oder andere Weise schon probiert hätten; natürlich ging es nicht um eine Eins-zu-eins-Umsetzung; auch die Theorie, dass sich jemand vor den Bildschirm setzt und am nächsten Tag Amok läuft, griff zu kurz; Schäfer überlegte, ob es nicht überhaupt umgekehrt sein könnte; dass das Spiel die entschärfte Variante einer vorgestellten Wirklichkeit war; Möglichkeiten der Kontrolle, das Ausgeliefertsein überwinden; diese Gefühle nicht nur im eigenen Zimmer zu erleben; und so bedenklich Schäfer das fand: diesen fehlgeleiteten Jugendlichen ging es doch bestimmt irgendwie darum, Kontakt aufzunehmen, sich zu spüren; darin unterschieden sie sich wenigstens noch von den erwachsenen Spielern, den Börsenmaklern und Spekulanten, den Sanierern und Reformern, Schluss jetzt, er hatte keine Lust, mit dem Bild des dämlich grinsenden Innenministers einzuschlafen, er musste vielmehr herausfinden, was diese Mechanismen für seinen Fall bedeuteten; wie ihm diese Erkenntnisse halfen, die Täter zu verstehen; zu finden und zu fassen. Der Strom der Gedanken hielt ihn lange wach; als ob ein Teil seines Verstands den anderen überholte. Als ob er gleichzeitig Passagier und Pilot eines Flugzeugs wäre, dessen Destination keiner kannte.

24
    Serienmörder in Wien?
    Möglicherweise schon vier Opfer des Kartenkillers!
    Die junge Lehrerin Sonja Z., das Wiener Ehepaar Rudenz, ein Schweizer namens Wilhelm – auf den ersten Blick gibt es zwischen diesen Menschen keinen Zusammenhang. Wenn man nicht weiß, dass sie alle in der jüngsten Vergangenheit unter noch ungeklärten Umständen zu Tode gekommen sind. Und wenn man nicht das kriminalistische Gespür eines Wiener

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