Ohnmachtspiele
er sich sicher.
Bergmann und Schäfer saßen schweigsam in ihrem Büro und starrten auf ihre Bildschirme, als es klopfte, die Tür mit einer Krücke aufgestoßen wurde und Koller im Raum stand.
„Aus den Augen, aus dem Sinn, hm?“, polterte er und zog sich einen Stuhl heran.
„Na zu überhören bist du jedenfalls nicht …“
„Du hast mich nicht zurückgerufen … Bulle!“
„Entschuldigung … aber die Insam von der Forensik hat den Fall auch gefunden und mir das Buch mitgebracht … Bergmann hat sich sogar die Akte schicken lassen.“
Bergmann griff hinter sich ins Regal und reichte Koller einen Schnellhefter.
„1983 in Köln … genau … das bin ich mit dem Andras vor ein paar Monaten auch durchgegangen … Ja ja … schon seltsam …“
„Andras … ist das der Pensionär, den du illegal als Pfleger beschäftigst?“
„Werde du erst einmal so alt, du Tiroler Hammel … Hauptkommissar Ballas war zu seiner Zeit einer der besten Ermittler Ungarns … da könntest du noch was lernen … “
„Ich habe ihn gesehen“, sagte Schäfer, „den Ballas, auf einem Foto in einem der Bücher, die unsere Tote aus der Badewanne studiert hat … ein ungeklärter Mordfall in Budapest oder was in der Richtung …“
„Die Frau Chlapec, ja … das frisst immer noch an ihm, dass sie den nicht bekommen haben … wie oft sind wir das seither durchgegangen …“
Nachdem der Gerichtsmediziner das Büro verlassen hatte, starrte Schäfer auf den Bildschirm und versuchte sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Koller, der Quatschkopf, mit seinen Endlosanekdoten schaffte er es immer wieder, dass Schäfer den Faden verlor. Oder war es etwas anderes? Die Gattin eines Diplomaten, ermordet in Budapest, er griff ins Regal und nahm das Buch heraus. Irene Chlapec, 1992 erschossen in der eigenen Wohnung in der Budapester Altstadt, ihr Mann mit einem einwandfreien Alibi, Schmuck, Bargeld und ein paar Wertgegenstände gestohlen, dennoch hatte Ballas nicht an einen Raubmord geglaubt. Warum eigentlich nicht, fragte sich Schäfer und las den ganzen Bericht durch. Keine Einbruchspuren, zudem war das Gebäude überdurchschnittlich gut gesichert, die Frau musste ihren Mörder selbst in die Wohnung gelassen haben. Doch es gab kein Motiv, der einzige weitere Verwandte, der Sohn der beiden, hatte in Wien gelebt und sich zur Tatzeit in der Steiermark aufgehalten. Klassisch versandet, dachte Schäfer und stellte das Buch zurück ins Regal. Und der arme Ballas hatte mit einem ungeklärten Mord in Pension gehen müssen und spielte jetzt mit dem beinwunden Koller Hobbydetektiv. Doch dieser Name, Chlapec, wieso kam ihm der so bekannt vor? Er kniff die Augen zusammen und versuchte sein Gehirn auszuleuchten wie einen finsteren Keller. Ein paar Streichhölzer, die rasch verglommen. Nichts.
Kurz vor sechs ging er mit Bergmann die Aufgabenliste durch. Für ihn selbst gab es nichts mehr Dringendes zu erledigen, Lebensmittel müsste er noch einkaufen, außerdem machte sich sein Hals wieder bemerkbar – er schaltete seinen Computer aus, verabschiedete sich von Bergmann und verließ das Kommissariat. Er ging in einen kleinen Supermarkt in der Nähe seiner Wohnung, um die Einkäufe nicht weit tragen zu müssen. Im Regal, aus dem er Rasierschaum und eine Hautcreme nahm, entdeckte er ein Badeöl mit Eukalyptus, Kampfer und Lavendel. Warum badete er eigentlich so gut wie nie? War ihm das zu unmännlich? Er legte die Flasche in den Einkaufskorb und ging zur Kassa.
Als er im leuchtend grünen Badewasser lag und den scharf riechenden Dampf in seine Bronchien zog, war es ihm, als flutete ihn im Intervall seiner Atemzüge eine tiefe Gelassenheit. Ich bin gelöst, dachte er und kicherte los, gelöst, gelöst, gelöst, er hielt sich die Nase zu, schloss die Augen und tauchte unter, bis der Sauerstoffmangel ihn nach oben drückte. Natürlich lag es nicht nur am Badezusatz, dass Schäfer es zum ersten Mal seit Monaten wieder genoss, am Leben zu sein. Seit es ihm gelungen war, den Zusammenhang zwischen diesen Todesfällen zu erkennen, seit der Fall offiziell zu einem solchen deklariert worden war, hatte er wieder ein klares Ziel vor Augen, seitdem floss die Kraft langsam zurück, lebte er auf. Und so schaurig der Gedanke auch war, dass es zumindest eine Person in Wien gab, die systematisch und hemmungslos Menschen ermordete – Schäfer führte die beginnende Jagd nach diesem Mörder neue Energien zu. Jetzt brauchten sie weitere Anhaltspunkte, Spuren, sie
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