Ohnmachtspiele
so weit war? Wobei es bislang keinen Anhaltspunkt gab, dass die tote Frau, die in der U-Bahn-Station Alser Straße gefunden worden war, irgendetwas mit den anderen Morden zu tun hatte. Eine Überdosis, wie der anwesende Arzt festgestellt hatte, keinerlei Anzeichen von fremder Gewalt, eingesperrt in einer Kabine der öffentlichen Toiletten, die Spritze noch in der Armbeuge.
Der einzige Grund, warum die Kollegen der Sicherheitswache Bergmann verständigt hatten, war ein Junkie, der nach dem Fund der Leiche ausgerastet war und gebrüllt hatte, dass die Manu ermordet worden wäre, wie der Willi, weil sie mit dem Major hatte reden wollen, und einer der beiden Uniformierten hatte eins und eins zusammengezählt und die Mordkommission informiert.
Manuela Fritsch, siebenundzwanzig – Schäfer spielte in seinem Kopf mit Namen und Alter der Frau, ob sie irgendwie ins Schema passte; doch musste sie das überhaupt? Vielleicht war sie eine Zeugin, die den Mörder des Schweizers kannte und sich an die Polizei wenden wollte. Wobei Schäfer sich bald eingestehen musste, dass die Wahrscheinlichkeit für etwas anderes sprach: siebenundzwanzig, für eine Heroinsüchtige ein typisches Todesalter; wenn sie, wie er annahm, schon über zehn Jahre spritzte, war es nur eine Frage der Zeit, bis der verkrustete Teelöffel zum letzten Mal auf den stinkenden Fliesenboden einer öffentlichen Toilette fiel.
Am Westbahnhof kaufte Schäfer drei Schachteln Zigaretten und stieg in die U-Bahn, um auf direktem Weg ins Kommissariat zu fahren. Er wollte mit dem Bekannten oder Freund der Toten, den Bergmann in Verwahrung genommen hatte, umgehend sprechen; bevor ihn Entzugserscheinungen, Paranoia, Aversionen gegen die Polizei oder plötzlicher Gedächtnisverlust als Zeugen womöglich wertlos machten. Schäfer genoss in der Szene aus ihm selbst nicht verständlichen Gründen einen guten Ruf und tat sich bei der Einvernahme von Drogensüchtigen verhältnismäßig leicht. Meistens war ihm das nur recht, beizeiten kam es auch ungelegen – eine gute Beziehung zu den Junkies konnte schließlich je nach Betrachter in christlicher Nächstenliebe ebenso begründet sein wie in einem ungesunden Naheverhältnis zu illegalen Substanzen.
Kurz nach sieben betrat Schäfer das Kommissariat, das in einem heiligen Schlaf dahinzudämmern schien. Halbe Beleuchtung, ausgeschaltete Kopierer, keine hektischen Schritte auf den Fluren. Er ging in sein Büro, stellte die Reisetasche ab und öffnete das Fenster. Wo war Bergmann? Schäfer nahm sein Handy und drückte die Kurzwahltaste. Auf dem Weg. Der Amtsarzt hätte den Mann untersucht und seine Vernehmungstauglichkeit bescheinigt. Zehn Minuten, Schäfer sollte inzwischen einen Raum vorbereiten und Kaffee aufsetzen.
„Jawohl, mein General“, beendete Schäfer das Gespräch, leicht verstimmt wegen des befehlsmäßigen Tons seines Assistenten. Vielleicht wählte er deshalb die Kaffeeküche für die Befragung. Den ekelig verstunkenen Raum, den die Raucher unter ihnen als eine der letzten Bastionen ihrer Sucht gegen strikte Nichtraucher wie Bergmann verteidigten.
„In der Küche“, beschwerte sich dieser umgehend nach seiner Ankunft, „das halte ich nicht lang aus.“
„Zeigen Sie ein wenig Entgegenkommen“, beschwichtigte ihn Schäfer und drückte dem verloren wirkenden Mann in Bergmanns Schlepptau zwei Schachteln Zigaretten in die Hand, die dieser mit einer spastischen Verbeugung entgegennahm. Hepatitis, dachte Schäfer, als er den sauren Geruch und die gelblichen Augen wahrnahm. Er führte ihn in die Kaffeeküche und trug Bergmann auf, eine Decke zu beschaffen.
„Kaffee?“, fragte Schäfer, während der Mann seine Hände umklammerte, die ihm ein Feuerzeug entgegenhielten.
Knisternd füllte sich die Kanne, Schäfer drehte am Knopf des Radios, um einen Sender mit klassischer Musik zu finden. Dann stellte er Milch und Zucker auf den Tisch, schenkte zwei Tassen voll und setzte sich dem Mann gegenüber.
„Hast du sie schon lang gekannt?“
„Die Manu? … Zehn Jahre … fünf … ja …“
Bergmann kam mit einer Wolldecke herein und legte sie dem Mann um die Schultern.
„Danke sehr … auch für die Zigaretten“, sagte er mit einem devoten Kopfnicken und zündete sich eine weitere Zigarette an der ersten an.
„Dann habt ihr euch ganz gut gekannt“, fuhr Schäfer fort.
„Ja ja, so wie man sich halt kennt …“
„Warum glaubst du, dass sie umgebracht worden ist?“
„Wegen dem Willi“, antwortete der
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