Ohnmachtspiele
…“
„Dass sie im Vorhinein für jede Karte eine Person festlegen? … Vielleicht … das geht ziemlich spontan … aber es muss eine Beziehung geben … es gibt immer eine Beziehung …“
„Vielleicht sollten wir einen Profiler anfragen …“
„Jetzt aber! Dass wir uns noch einmal so einen Ich-habe-dreißig-Kurse-beim-FBI-belegt-Burschen einfangen, der uns dann erzählt, dass die Täter männlich sind, zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig und emotional gestört … da kämen wir beide auch in Frage …“
„Würde passen: Wir wissen, wie man Spuren beseitigt, wie man die Forensiker täuscht …“
„Richtig … Sie haben den Schweizer am Exelberg entsorgt, als Sie zum Schießstand gefahren sind … und das Heroin haben Sie sich aus dem Asservat besorgt …“
„Gut … dann übernehmen Sie die Ziermann … da waren Sie im Krankenstand …“
„Okay … aber die Rudenz, das ist nicht mein Stil … Badewannenmörder Bergmann … passt besser … dafür habe ich ihren Mann von der Straße gedrängt …“
„Und die Chlapec?“
„Schnapsen wir uns aus“, grinste Schäfer. „Mein Gott, sind wir pietätlos … Schande über Sie, Bergmann …“
„Ja, nehme ich auf mich … trotzdem: Wenn wir beide so etwas machen wollten, dann könnte es genau so ablaufen. Wir nützen unsere Alltags- und Arbeitskenntnisse, um ungestört spielen zu können …“
„Ein leichtes Spiel … wenn man sich so weit entmenschlichen kann …“
„Aber warum sagen sie es uns dann … warum legen sie uns eine Karte hin, wenn sie so gut darin sind, unentdeckt zu töten?“
„Hm“, Schäfer stellte sich ans Fenster, „möglicherweise, weil einer der beiden es nicht mehr aushält … zuerst war es eine kranke Idee, geboren aus einem riesigen Haufen Frust und Kränkung, Machtgelüste … dann kommen die Karten ins Spiel …“
„Und warum? Warum fahren sie nicht einfach durch die Gegend und knallen einen ab?“
„Wegen der Regeln … Gehen wir davon aus, dass wir es mit zwei Menschen zu tun haben, die zivilisiert und angepasst sind und sich in diesem Leben grundsätzlich wohlfühlen … also keine Neonazis, die sich konkrete Feindbilder aufbauen und diese vernichten wollen … zwei gefühlskalte, funktionierende Gesellschaftsmaschinen, die an einer Stelle lecken, die keiner sieht … die brauchen Regeln … auch, um zu morden … dann töten sie zum ersten Mal: Kick! … Dann noch einmal … und jetzt ist die Frage, wie ihr Gefühlssystem reagiert: Empfinden Sie es als so große Genugtuung und Belohnung, dass sie süchtig danach werden …“
„… oder hat einer mittlerweile schon eine Überdosis und spielt uns deshalb die Karte zu, damit wir ihn auf Entzug schicken …“
„Schön gesagt … ja, möglich … und … den müssen wir mürbe machen …“
Am späten Nachmittag verließ Schäfer das Kommissariat und spazierte durch den ersten Bezirk ins Museumsquartier, wo er spontan in eine Ausstellung ging. Trotz des Feiertags waren kaum Besucher dort. Er schlenderte von einem Objekt zum nächsten, ließ seine Gedanken treiben, ohne sich ein ästhetisches Urteil zu bilden. Er brauchte einen Perspektivenwechsel. Wenn die Morde eine gewalttätige Reaktion auf selbst erlittenes Unrecht waren, wenn Symbolik und Vorgehensweise auf dieses Unrecht schließen ließen … eine emotionale Taubheit als Voraussetzung … wenn ihre eigene Persönlichkeit nie wahrgenommen wurde. Die Chlapecs waren Diplomaten … Menschen, die von einem Ort an den anderen versetzt werden konnten … Figuren im diplomatischen Spiel der Staaten … und sie hatten es mit jemandem zu tun, der Tschechisch konnte und wusste, dass
chlapec
Bube bedeutet … abwegig … das war wie ein Stöckchen in den Wald zu werfen und darauf zu hoffen, dass dort zufällig ein Hund herumstreunte, der es apportierte. Er setzte sich in einen abgedunkelten Raum, wo eine Videoinstallation ohne Ton lief, und nahm sein Telefon heraus.
„Servus, alter Schlächter … Ich hoffe, ich habe dich gestört … Ich dich auch … Sag: Hast du eigentlich schon etwas über dieses Diplomatenpaar herausgefunden … Mein Gott, Koller … Du hast inzwischen mehr Kalk im Hirn als Gips am Bein … Genau die… Nein, brauchst du nicht, ich komme gern vorbei … Jetzt gleich, natürlich … Lüfte halt davor kräftig durch … Bis gleich.“
Auf dem Ring hielt er ein Taxi an und ließ sich zu Koller bringen. Als er dessen Wohnung betrat, wurde sein Blick zuallererst auf den
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