Ohnmachtspiele
Wege versperrt und andere aufgetan. Und genau das konnte Schäfer im Moment nicht gebrauchen. Noch brauchte er das Schweben, den instabilen Geist, den Zustand ungefestigter Moleküle auf der Suche nach einem freien Elektron. Er kannte einen der Täter, da war er sich sicher. Er hatte ihn schon getroffen, auch davon war er überzeugt. Irgendwo in seinem Kopf waren dessen Bild und dessen Name. Und jetzt musste er so schnell wie möglich den Weg in den Winkel seines Hirns finden, wo sich dieses Wissen versteckte.
„Chirr?“, fragte der arabische Taxifahrer unwirsch, was Schäfer vermuten ließ, dass er ihn schon mehrmals gefragt hatte. Er gab ihm ein großzügiges Trinkgeld, wünschte eine gute Nacht und ging zur Haustür. Als er den Schlüssel aus der Hosentasche nahm, fiel ihm dieser auf den Boden. Er bückte sich und sah einen kleinen roten Lichtpunkt über das Glas der Tür fliehen. Scheiße! Er ließ sich fallen und rollte sich hinter ein Auto, zog seine Waffe und wartete einen Moment. Dann ging er langsam auf die Knie und spähte vorsichtig über die Motorhaube. Mit der linken Hand griff er in seine Jacketttasche und holte sein Telefon heraus. Sie sollten sofort zu seiner Wohnung kommen, aus allen Richtungen, und jeden Wagen aufhalten, der zu schnell fuhr.
Er ließ sich hinter das Auto sinken. Warum er? Dann fiel es ihm ein, dann hörte er die Sirenen, kurz darauf bremste sich ein Streifenwagen in zweiter Spur ein, zwei Polizisten sprangen heraus und rannten auf ihn zu. Schäfer stand auf, dann wurde ihm schlecht und er musste sich auf den Stiegenabsatz vor der Haustür setzen. Die beiden Uniformierten standen einen Moment ratlos vor ihm, bis einer vorschlug, die Rettung anzurufen, was ihm Schäfer augenblicklich untersagte. Ein paar Minuten später war Bergmann zur Stelle. Er setzte sich neben Schäfer und fragte ihn, ob alles in Ordnung wäre.
„Sagen Sie mir einen anderen Namen für mich.“
„Ich … ich verstehe nicht ganz.“
„Wie kann man zu einem Schäfer noch sagen?“
„Ähm … Hund?“
„Für den Beruf, Bergmann, für den, der Schafe hütet!“
„Hirte!“
„Richtig … wie Kuoni der Hirte … ich gehe davon aus, dass ich der Herzunter bin.“
32
Nein, er wollte niemanden in der Wohnung; der Streifenwagen vor der Tür war ausreichend. Eine gute Stunde saß er im Dunkeln am Küchentisch, die entsicherte Pistole im Schoß, rauchte Kette, wünschte sich, der Täter würde es noch einmal probieren, eine Entscheidung herbeiführen, die Sache zu Ende bringen. Dieses Schwein, das war nicht ausgemacht, das verletzte alle Regeln, schließlich war er Polizist, Mitspieler, ein Gegner, aber kein Opfer; wie hatte aus diesem beschissenen Spiel so schnell Ernst werden können, wo er endlich geglaubt hatte, Herr der Lage zu sein; dann das, sein Puls beschleunigte sich, eine kribbelnde Hitze stieg ihm über die Wirbelsäule in den Nacken, er wurde panisch. Öffnete den Kühlschrank und nahm die Flasche Vogelbeerschnaps heraus, die ihm der Kitzbüheler Bürgermeister vergangenen Sommer als Dankeschön geschickt hatte. Klarer Geist, so hieß das Destillat wohl nicht ohne Grund, dachte Schäfer, nahm ein Wasserglas aus der Anrichte und schenkte großzügig ein. Zitternd, schwitzend wankte er zur Couch, legte sich eine Wolldecke um und setzte sich in den Vorraum auf den Fliesenboden. In der einen Hand die Waffe, in der anderen das Glas, jetzt kannst du kommen. Er horchte auf die Geräusche, die von außen zu ihm drangen, das Anfahren des Aufzugs, eine Klospülung, Schäfers Blick blieb an den Staubflocken hängen, die sich in den Ecken des Vorraums gesammelt hatten. Auf allen vieren begann er sie mit der Hand zusammenzukehren, knetete den Staub zu einem Klumpen, legte ihn neben sich, nahm einen Schluck Schnaps, stellte das Glas ab und legte sein Gesicht in die staubigen Hände. Er hörte ein paar hohe Absätze über den Steinboden klappern, Schlüssel im Schloss, Musik aus der Wohnung nebenan, die Studentin, die auf den seichten Pop der englischen Charts stand, Angel, hörte Schäfer heraus, Aaaaangel, oh, oh, Angel, und wer wachte über ihn? Zwei gleichgültige Beamte, von denen bestimmt einer schlief. Wenn er schlafen könnte, er schloss die Augen und dämmerte in eine verschwommene Ohnmacht hinein, begann zu träumen: Er sah sich inmitten von Kindern, die in Zweierreihe, Hand in Hand, eine nächtliche Straße entlanggingen, jedes trug eine selbst gebastelte Laterne, zu beiden Seiten schirmte ein
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