Okarina: Roman (German Edition)
Film-Aufständischen. Konspirativ getarnt als gutbürgerliche Bier-Sause. Natürlich mogelten sie eine Panoramakulisse ein, aber dabei könne man nicht vorsichtig genug sein. Ich sei doch mit der Alster vertraut; ob ich nicht einen Blick darauf werfen könne. »Wegen der Perschpektive und der Treue des Details«, sagte der Gehilfe vom Berater des Regisseurs und klang zu gleichen Teilen nach Glauchau und Miss Harkness dabei.
»Wenn Winter wäre und Eis«, sagte ich, »aber welche Zeit ist in der Szene?«
»Herbst.«
»Richtig, Brandler spricht von der Oktober-Niederlage, wenn er den Mitteldeutschen Aufstand und Hamburg meint. Nein, als Alster-Experte kann ich nur mitten im kalten Winter gelten. Fragt doch Bredel, der das Drehbuch geschrieben hat.«
»Der sitzt an der Fortsetzung«, sagte Ronald. Er machte Anstalten aufzubrechen, hielt aber inne, als ich sagte, er habe von zwei Teilen gesprochen. Den zweiten hätte er beinahe vergessen, behauptete er. Es handle sich um etwas einigermaßen Haarsträubendes und sei der eigentliche Grund, warum er nach Brandler frage, von dem er nicht einmal wisse, ob er noch lebe, was aber der Fall sein müsse, wenn der haarsträubende Fall stimmen solle.
»Keine Ahnung. Aber ich ahne, daß du noch im Laufe des Tages überkommen wirst mit der haarsträubenden Angelegenheit.«
»Könnte es sein, daß sich der Genosse Walter Ulbricht mit diesem Brandler treffen will?«
»Einverstanden, es ist haarsträubend.«
»Könnte es technisch sein?«
»Mein Ronald, das weiß ich nicht. – Ich mache die Technik bei Moellers und lerne bei Niklas Information und Kommunikation, Kurzform Inko . Spökenkiekerei, Kurzform Spökiek , lerne und betreibe ich nicht. Erkläre dich.«
»Ich erkläre mich: Erstens ist es persönlich. Zweitens ist es eine Idee von Gabriel Flair.«
»Dem ist die Versetzung nicht bekommen. Er meint, die war ein Racheakt des Genossen Winifred. Erzähl weiter!«
»Dann wären wir alle schuld an seiner Versetzung.«
»Das wären wir«, sagte ich. »Aber weiter!«
»Ich laufe Flair über den Weg. Er sagt: ›Mußt du jetzt Ulbricht beschützen?‹ Ich sage: ›Ulbricht? Ich bin Gehilfe vom Berater für Aufstandsfragen.‹ Er sagt: › Es geht aufwärts, Matti, wir steigen! Ist es geheim?‹ Ich sage: ›Wir sorgen, daß sich historische Wahrheit und dichterische Freiheit nicht ins Gehege kommen.‹ Er sagt: ›Eine Lebensstellung.‹ Ich sage: ›Bist du beim Thälmann-Film?‹ Er sagt: ›Da sei der Genosse Winifred vor! Man schickt mich aus dem Haus, wenn Walter Ulbricht das Werk begutachten kommt.‹ Ich sage: ›Ulbricht?‹ Er sagt: ›So höre ich, und ich höre, Brandler kommt auch.‹ Ich sage: ›Ist mir nicht bekannt.‹ Er sagt: ›Brandler, oder daß er kommt?‹ Ich sage: ›Beides.‹ Er sagt: ›Es heißt, er reist übers Wasser an, aus Westberlin.‹ Ich sage: ›Klingt umständlich.‹ Er sagt: ›Istpfiffig: Sie filmen einen Treff und machen in dieser Tarnung einen Treff.‹ Ich sage: ›Im Alsterpavillon?‹ Er sagt: ›Ich höre, die Stelle wurde eigens dazu ins Drehbuch geschrieben.‹ Ich sage: ›Warum nicht gleich der ganze Film?‹ Da sagt Gabriel Flair: ›Ja, warum auch nicht?‹«
Ronald zeigte, welch guter Schauspieler, nein, nicht an ihm verlorengegangen, sondern welch guter Schauspieler er war. Er saß da wie Gabriel Flair, und sein Warum nicht? klang wie Flairs Warum nicht? , von dem er behauptete, es zeuge von Reife. Nur wenn zu der Kinder-Frage Warum? eines Tages ein Warum nicht? trete, könne der Mensch als erwachsen gelten.
Ronald Slickmann saß auf meinem Stuhl und hatte wie Gabriel Flair geklungen. So daß ich ihm antwortete, wenn ich alle Signale bedächte, Walter Ulbricht und Heinrich Brandler und Ernst Thälmann und mich als den Assistenten vom Gehilfen des Beraters vom Regisseur und die dichterische Wahrheit der Kulisse des Alsterpanoramas vom Alsterpavillon aus gesehen, müsse ich mich fragen: Warum eigentlich nicht?
Ob es mir etwas ausmache, wenn wir uns erst am Drehort in Babelsberg träfen, wollte Ronald wissen.
»Keineswegs«, sagte ich, es werde ja seine konspirative Bewandtnis haben. Es war aber eine Regieassistentin, die in Kleinmachnow ein Zimmer hatte, die Bewandtnis. Mir recht; so konnte ich in den sonntagmorgenleeren Bahnen meine Brandler-Zettel durchgehen und mich während der Reise von Berlin-Nord nach Babelsberg-West am Zehlendorfer Rand von Westberlin versichern, dieses sei schlechterdings nicht möglich: Ein
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