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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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getroffen habe. Es war als Besuchsgrund dürftig, aber wie unser Brauchtum es wollte, sagte ich nichts und fragte nicht, zu welchem Ende er nach Babelsberg geraten sei. Obwohl, oder, um Himmels willen, weil ich hätte hinzufügen können: Auf halbem Wege bis nach Jüterbog. Ich wurde mit Ronalds Auskunft belohnt, er sei derzeit Gehilfe vom Berater des Regisseurs vom Thälmann-Film. Er sagte nicht Gehilfe, sondern Pomoschnik . Er hatte gerade eine starke Sowjet-Phase und betonte den Namen unseres gemeinsamen Großgegners Adenauer auf der vorletzten Silbe.
    »Gehilfe, nicht Hauptdarsteller?« fragte ich. Was sich verbot, weil Ronald nicht Bantzer war und an der Wahrheit zwar sparte, sie aber nicht verbog.
    »Eine Sache der Frisur«, sagte er und wollte wissen, ob ich etwas von Brandler kenne.
    »Heinrich Brandler, KPO, auch KP-Null genannt?«
    »Damit du nicht sein Leben erzählst: Es geht um den Hamburger Aufstand. Also seine KPD-Zeit. Wenn du beim Film nur zusiehst, kriegst du die Fabel kaum mit. Weil sie den, der dreimal in derselben Küche steht, hintereinanderweg drehen. Gut für die Ökonomie, nicht gut für meinen Überblick.«
    »Brandler in der Küche vom Thälmann-Film?«
    »Hast du was von dem?«
    »Ich werde mich hüten«, sagte ich. »Niklas verwahrt so was im Giftschrank, aber von dem hält er nicht nur seinen Fernstudenten fern. Leonhard Bick hat mir eine Broschüre geliehen; da stehen tolle Reden von Brandler drin.«
    »Ich denke, Anarchisten lesen keine Kommunisten.«
    »Leonhard liest alles, und tolle Reden war sein Ausdruck.«
    »Den hat Flair auch benutzt«, sagte Ronald. »Der war ein toller Redner, hat er gesagt. Und noch was anderes.«
    »Weshalb du jetzt nach Brandler fragst?«
    »Es bleibt aber in der Zelle«, sagte Ronald.
    »Ich dachte, wir wollten das nicht mehr beteuern.«
    »Entschuldige, wir haben uns lange nicht gesehen.«
    Was das mit Abmachungen zu tun habe, fragte ich und konnte mich eines ebenso verlegenen wie wütenden Ronalds erfreuen. Er entschuldigte sich ein zweites Mal und forderte mich auf, nicht den spitzfindigen Studiker zu geben. Dann erzählte er von Brandler und Flair und Ulbricht und dem Thälmann-Film und davon, wie er in dieses Gemenge geraten war. Ganz einfach, sein derzeitiger Chef, der eine Diplomarbeit über Aufstandsfragen geschrieben habe, sei als Berater zum Drehstab kommandiert worden. Ganz und gar nicht einfach, die Beratung bei einem Film über den Hamburger Aufstand; dafür sorge die explosive Mischung aus Ruth Fischer, Thalheimer, Thälmann, Dahlem, Gerhart Eisler, der, wußte ich das, nicht nur Hanns Eislers, sondern auch Ruth Fischers Bruder war, und eben Brandler, Ulbricht und Pieck.
    »Die kann man alle im Thälmann-Film sehen?« – Ich wurde nicht einmal mit einem Lächeln belohnt. Statt dessen nannte Ronald die Namen derer, die in der Komintern mit jenem Aufstand befaßt gewesen waren, dem sein Chef ein Kapitel seiner Diplomarbeit gewidmet hatte: »Clara Zetkin, Sinowjew, Radek.«
    »Und Trotzki, Kamenjew und Bucharin. Und Stalin natürlich.«
    »Natürlich«, sagte Ronald. – »Steht das in der Broschüre, die man bei Leonhard Bick ausleihen kann?«
    »Weiß nicht, ob man . Mir hat er sie geliehen. Dir würde ersie auch leihen, denke ich. Aber dein Chef müßte das Material haben, wo er Berater ist. Und müßte es seinem Gehilfen geben.«
    Sein Chef, erfuhr ich, sei ein strikter Anhänger des Kompartmentalisierungsprinzips. Also der Need-to-know-Struktur.
    »Oder der Dreier-Zelle«, sagte ich.
    Jetzt bekam ich mein Lächeln und hörte, daß der Chef es liebe, seinem Pomoschnik während der morgendlichen Fahrt von der Dienststelle zum zeitweiligen Dienstobjekt ausgewählte Teile seiner Arbeit über Geschichte und Techniken des Aufstands zu zeigen – ausgewählt nach dem Need-to-know-Prinzip. Wobei er zu sagen pflege: »Sinowjew und Radek sind Verschlußsache, klar?«
    »Klar«, sagte Ronald, aber er komme wegen etwas anderem zu mir. Etwas aus zwei Teilen. Erstens, ob ich Lust habe, für einen Tag als sein Assistent mit nach Babelsberg zu fahren. An den Griebnitzsee, genauer.
    »Dann findet Frau Moeller, da hört sich doch alles auf!« sagte ich. »Recht hat sie: Ihr Schweizer als Assistent des Gehilfen des Beraters des Regisseurs des Thälmann-Films, bei dem Sinowjew und Radek Verschlußsache sind!«
    Ob ich zuhören wolle, fragte Ronald. Derzeit werde am Griebnitzsee ein Stück Alsterpavillon errichtet. Für ein Film-Treff von

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