Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
hätte ich dringliche Fragen mit der Gemeindeschreiberin erörtern und mich austauschen sollen über das, was Menschen unterschiedlicher Umrisse zu gleichberechtigten Menschen macht. Wo nicht Soziales im Vorland der Ruhner Berge oder Herrnstadts Artikel Über die Russen und über uns oder die Maschinen-Traktoren-Ausleihstationen hätte ich Die Frau und der Sozialismus oder den Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats bereden und staatsbürgerliche Übereinstimmung zwischen uns suchen müssen. Doch nichts davon tat ich, führte mich weniger gesellschaftlich als gesellig auf und führte meine Hände, nichts als privates Wissen zu mehren, gewissenlos, sanft und begierig immer noch einmal um die Gehilfin des Bürgermeisters herum, welche sacht atmend am Gemeindeschrank lehnte und womöglich Rita, aber vermutlich nicht Hayworth oder Zsa Zsa hieß.
    Auf welche Weise sich die Grenze meiner Fahrt bestimmte, erfuhr ich nicht; daß ich an sie gekommen war, erfuhr ich mit Bestimmtheit. Ganz Schreibkraft und ganz Kraft nun, nicht übereilt, doch unabweisbar gewann die Amtsperson an kühler Härte, wo sie sich eben noch warm und weich an mich verloren hatte. Meine jungen Hände, die Sekunden zurück junge Schultern zart berührten, hielten wieder die Tasche aus ältlichem Igelit, welche mit februargrauen Unterlagen für die Landwirtschaftliche Betriebszählung prall gefüllt war. Was ein Leuchten aus den Tiefen meines Leibes nicht hinderte, in den Amtsraum zu treten und ihn in rosenfarbnes Licht zu tauchen. Dies zu ändern, weil Amtspersonen hörbar nahten, sank ich auf den Besucherstuhl der behördlichen Stube, zog mich zu Teilen unter den Tisch aus ruhnerbergischer Eiche, zerrte die modderglatte Kunststofftasche an meinen Leib, um sie mit ihm und ihn mit ihr zu bedecken, und nahm von der Frau Bescheid des Inhaltsentgegen, in ihrer Gemeinde sei man gewissenhaft vorbereitet auf meinen Besuch und durchaus eingestellt auf jegliche Einsichtnahme, habe aber, um nichts unnötig in die Länge zu ziehen, die Daten vor längerem gebündelt und dem Landeszähler eingesandt. Sollte es Fragen geben, träten, wie sie gerade sähe, zweckdienlich auskunftbereite Herren soeben ein.
    Ihre Mitteilung zu unterstreichen, wies die bei aller wollbedeckten Doppelung wohl auch ein wenig doppelzüngige Schriftführerin auf zwei Dörfler, von denen der eine älter und vierschrötig und der andere entschieden jünger und entschieden vierschrötiger war. Die Art, wie ihrer beider Hände meine beiden Hände ergriffen, ließ sich noch als ortsübliche Grußform deuten. Daß die Leute jedoch statt herzlichen Willkommens meinen Abschied meinten, zeigte der Schwung, mit dem sie mir die verschlossene Tasche unter den Arm und mich zur offenen Türe schoben.
    Weil ich ein subalterner und nur zeitweilig mit Hoheit ausgestatteter Zähler war und die von mir vertretene Zone längst noch kein Staat, ließ sich das, was mir mit Fäusten und Schultern in dem Dorf zwischen den Ruhner Bergen und der Ebene vor Lübz begegnete, schwerlich Widerstand gegen die Staatsgewalt heißen. Ob ich mich jedoch bei dieser Gelegenheit mißbräuchlichen Nießbrauchs – das befremdliche Wort meint Nutzung fremder beweglicher und unbeweglicher Sachen – zu Lasten des Ganzgroßenganzen schuldig machte, steht auf anderem Papier.«
    Ronald steckte meine Geschichte sorglich in eine Innentasche seines Trenchcoats und fragte, ob ich wisse, welch ein Glück es gewesen sei, daß keine Parteikontrollkommission von der Zählerei erfuhr. Oder von meiner Erzählerei wisse. Er werde die Selbstbezichtigung gut verwahren, sagte er und wußte mir herrliche Warnungen. »Das bei den Falschen und du kriegst Feuer. Niklas wird keinen Fabulisten wollen und Flair keinen Witzemacher. Oder du stehst gedruckt, wo du nicht hingehörst.«
    Sehe ich von Niklas ab, der auf Tatsachen beharrte, solange es ihm nötig schien, ist Ronald einsamer Meister in der Kunst gewesen, einen Gegenstand Gesprächsgegenstand bleiben zulassen, bis es nichts mehr zu drehen oder zu deuteln gab. Kein Grund, weiter auszubreiten, was ihm zu meinem törichten Druckerzeugnis einfiel, aber er zeigte sich als verschränkter Prophet, indem er vortrug, wie es hätte weitergehen können, wäre Zsa Zsa Hayworth in die zuständige Moralabteilung gerannt. Verschränkt war sein Gesicht insofern, als es sich erst nach dem Wechsel der Verhältnisse bewahrheitete. Aber der trat ein, und ich komme, wenn auch nur ungern, auf mich als

Weitere Kostenlose Bücher