Okarina: Roman (German Edition)
Treffen von Brandler, dem Mit-Vorsitzenden der KPD und späteren Mit-Vorsitzenden der KPO, mit Ulbricht, dem Komintern-Exekutivkomitee-Kandidaten und späteren Generalsekretär der SED, am Ufer des Griebnitzsees in der Kulisse vom Alsterpavillon gelegentlich der Dreharbeiten für einen Film über Thälmann.
In Zeiten, da Josef Stalin noch nicht über Wassern und Welten schwebte, gehörte Walter Ulbricht zusammen mit Stalin, Molotow und Kuusinen im Exekutivkomitee der Internationale zu der Gruppe, die sich gegen Bucharin, Clara Zetkin und andere durchsetzte, als es galt, Heinrich Brandler, AugustThalheimer aus der Sektion auszuschließen. – Das werde mir gefallen, höhnte Leonhard Bick mit entstelltem Mund und wies mit einem Finger, der einem ängstlichen Haustier nicht unentstellt entkommen war, auf mehrere angestrichene Sätze in seiner Broschüre.
Diese Anarchisten müssen immer alles verhöhnen, dachte ich damals und schrieb Stalins gruseliges Debatten-Wort in meine Kladde. So daß ich es mir auf dem Weg in die Beratergehilfenassistenz erneut zu Gemüte führen konnte: »Wird eine organisierte, geschlossene Kommunistische Partei Deutschlands mit eiserner innerer Disziplin sein oder wird sie nicht sein?«
Ein Un-Hamlet im Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale. Stalins Frage, die sich wie eine eherne Antwort las, sagte mir sehr zu; auch tat ein Grad von persönlicher Bekanntschaft, in der es nach Pfeifentabak roch, das seine. Anders verhielt es sich mit der Ulbricht-Notiz, an deren Rand ich dem. gekritzelt hatte, was nicht demokratisch , sondern demagogisch bedeutete. Obwohl mehr volksdemokratisch als demokratisch gesinnt und Demagogischem nicht durchgehend abhold, las ich mit Unbehagen, wie Ulbricht der Warnung eines ungeliebten Genossen begegnet war. Der hatte gemeint, man dürfe den Antikommunisten keine Gelegenheit geben, eine Massenaktion als »Parteigeschäft der Kommunisten« hinzustellen. Mit Sätzen, die beim Lesen einen ulbrichtsächsischen Wohllaut bekamen, während mir Stalins Weisung wie vertrautes Seminaristen-Deutsch klang, hatte sich der oberste Sekretär, unterstützt vom allerobersten, über den Weggefährten hergemacht, als habe der das Wort Parteigeschäft der Kommunisten erfunden und betreibe das Parteigeschäft der Antikommunisten damit.
Dies galt als ein bewährter Griff beim parteilich-rhetorischen Ringen, und ich blieb weder von ihm verschont, noch verschonte ich andere mit ihm. Wie ich auf der Fahrt von Pankow im hohen Nordosten nach Griebnitzsee im tiefen Südwesten zahlreiche Stationen der S-Bahn passierte, kam ich an einigen meines Parteilebens vorbei, an denen ich die Wird-sie-sein-oder-wird-sie-nicht-sein-Frage nicht ohne Fistelton oderSeminaristenbeiklang aufgeworfen und wie eine Bola geschleudert hatte. Weniger im Gebirge als in der Pampasebene mähte ich jeden damit nieder, der in meinen wachsamen Augen das Parteigeschäft des Gegners betrieb.
Wäre die Fahrt nicht durch den Grunewald gegangen, an dessen Rändern vornehmlich der Klassenfeind siedelte, hätte ich mich, da nun einmal selbstkritisch gestimmt, mit meinem Umgang mit Jacob Walcher befaßt, der einerseits ein Gesinnungsgenosse von Heinrich Brandler und andererseits von Frau Wanda gewesen war. Ja, jener Jacob Walcher, Vorsitzender des Gründungsparteitags der KPD und zehn Jahre später Vorsitzender der KPO und fünfzehn weitere Jahre später Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung Tribüne und einige Jahre danach ohne jede Parteifunktion. Ja, jene polnische Wanda, die Lenin und Zetkin und Luxemburg und natürlich Thälmann und natürlich Brandler und natürlich Jacob Walcher ebenso von Streit und Tee her kannte, wie sie die teefreien Jahre in Workuta nicht mit jedem besprach. Ja, jene von mir Wanda genannte Lehrerin, die mir in Warschaus Gęsiówka die allerersten marxistischen Leviten las.
Wanda, wie sie weiter heißen soll, hat Walcher in einem der Briefe, die sie tauschten, als er aus Amerika zurück war und sie aus Workuta, nach alter Kaderpflegerart nach meinem Verbleib gefragt, und Walcher hat mich nach alter Kaderjägerart aufgetrieben. Ich solle mich sehen lassen, ließ er mich wissen, und ich ließ das ungebührlich lange bleiben. Was heißt, ungebührlich; ich ließ es aus Feigheit bleiben. Ich war Mitglied einer Partei, deren Vorsitzender Ulbricht hieß. Ich war Mitglied einer Bewegung, deren Großer Vorsitzender Stalin hieß. Ich war Mitglied eines Gesinnungsbundes, dessen Gesinnungsfeinde zu
Weitere Kostenlose Bücher