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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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auch nichts von meinem Besuch beim Stalin-Feind Walcher.Mich aber ließ ich wissen, ich habe Frau Wanda und Frau Danuta nicht verdient, wenn ich sie nicht via Walcher wissen lasse, was ihr Lehrling, dieser norddeutsche Kindskopf, dem sie unter anderem erst beibringen mußten, daß nicht jede Kinderkrankheit schon Radikalismus war, inzwischen unter seinen Deutschen trieb.
    Dieses Motiv bot sich erst an, als ich die Furcht zu besiegen suchte. Die unsittliche Angst vor etwas, das durch kein Gesetz als verboten galt und sich lediglich verbot. Nämlich mit einem bei Tisch zu sitzen, der mit Stalin und Thälmann und Ulbricht ins Gericht gegangen war. Und diese dann gründlich mit ihm.
    Zu meinem Heil besuchte ich Walcher, und beim Umgang mit dessen Geschichte von Ulbrichts Umgang mit ihm versuchte ich es zu meinem weiteren Heil mit Ronalds relativer Verschwiegenheit gar nicht erst. Ich hielt mich einzig an mich; das zog dem Argwohn Grenzen und engte für den Fall, ein Gerede komme auf, den Kreis der Verdächtigen erleichternd ein.
    Nützlich war die Visite bei Wandas Mittelsmann schon: Ich hätte, wäre Ronald mir noch einmal mit Brandler gekommen, von der Unmöglichkeit solcher Begegnungen sprechen können. Stalin und Ribbentrop, das ging bekanntlich. Selbst Stalin und Hitler wäre, wie längst bekannt, gegangen. Stalin und Trotzki ging nicht nur infolge eines Eispickels nicht. Meines Wissens ging nicht einmal Ulbricht und Brandler. Hitler und Stalin konnten einander alles mögliche nennen, aber was sollte es ihnen bringen? Ulbricht und Brandler konnten einander vor allem Verräter nennen, und das machte alles aus. Machte allem den Garaus.
    Also Schluß mit den spekulativen Treffs, her mit der Alsterkulisse! – Wir seien gleich da, sagte Ronald Slickmann und führte mich an den Rand vom Griebnitzsee. Noch war kein Stacheldraht über die Hausterrassen gezogen; man hatte es mit einem gewöhnlichen märkischen See zu tun. Oder, um dem Gewässer doch einige Untiefen zu geben, mit einem gewöhnlichen Havelsee. Der sonntäglich leblose Drehort trug Züge einer Geisterstadt, wie ich sie aus dem Hollywood-Westernkannte. Aber eine, die nicht verlassen, sondern noch nicht bezogen war. Der Filmarchitekt hatte sein Alsterpavillon-Segment so ans Seeufer gesetzt, daß sich zum Eingangsportal ein Stück Biergarten ergab und ein Stück Kaffeehaus, in denen die Kleindarsteller ihr Alsterwasser bzw. ihre Schokolade bestellen konnten. Und die Großdarsteller alles, was ihnen für einen Aufstand nötig schien.
    Von den Kulissenteilen, die den Griebnitzsee zur Binnenalster verkleiden sollten, standen genügend viele bereit, um das Verfahren einleuchtend zu machen. Nur fragte sich, warum man, einmal beim Mogeln, die Szene nicht im Studio drehte. Es hätte kaum schwierig sein sollen, die Kaffee-und-Kuchen-Pier und das hanseatische Binnengewässer, das sie schmuddelig umschwappte, wenn nicht unter einem Hallendach, dann im weitläufigen Gelände darzustellen. Statt dem nachzufragen, wandte ich mich der zeichnerisch vergrößerten Kulisse zu.
    Den mit Talern gepflasterten Ballindamm erkannte ich, auf den es schon des Grandhotels Vier Jahreszeiten wegen ankam, wenn man Verschwörer beim Planen zeigen wollte. Natürlich war am Ende der Promenade ein Stück von der Lombardsbrücke zu sehen. Weit natürlicher, wenngleich nur für mich, verwandelte sich der binnenstädtische Flußsee in einen winterlichen Festplatz, auf dem unzählige Bewohner der Hafenstadt wie deren Besucher Handschuh in Handschuh übers Tiefgefrorene flanierten, Kufe an Kufe kunstvoll zirkulierten oder ihre Schlitten übers Alstereis zogen beziehungsweise auf solchen über dieses gezogen wurden. Sah man auf meine rückwärtsgewandte Weise hin, ließen sich eine junge Frau ausmachen, die meine Mutter war, und ein kleiner Junge, in dem ich mich erkannte.
    Soweit ich sehe, sagte ich dem Gehilfen, dessen Assistent ich für einen Sonntagmittag hieß, scheine die Mogelperspektive geographisch verläßlich zu sein. Mit dem Historischen stehe es insoweit nicht anders, als sich nirgends ein Signal im Niklasschen Sinne finde, das nicht zum Herbst 23 passe. Zumal die Wimpel an den angedeuteten Masten zu Booten auf der fernen Außenalster gehörten, so daß weder frühe Hakenkreuze noch späte Kaiserkreuze auszumachen seien. Selbstwenn eine starke Vergrößerung des Fotooriginals derartiges sichtbar machte, besage das nichts. Hakenkreuzwimpel habe es längst und kaisertreue Flaggen noch lange

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