Okarina: Roman (German Edition)
dieser Zeit Slanský, Rajk und Kostoff hießen. Und Noël Field. Und Tito. Und Sinowjew und Kamenew und Bucharin und Radek, deren Geschichte uns lehrte, Genossen, daß Gesinnungsfreunde sich in ungesittete Feinde verwandeln konnten. Siehe Trotzki. Und siehe, nicht zu vergessen, Brandler. Von Wehner zu schweigen. Oder auch, Genossen, wenngleich in differenzierter Weise, von diesem Jacob Walcher.
Als Walcher mich auf Anstoß von Wanda und auf Umwegen,die nicht anstößig waren, wissen ließ, ich möge mich bei ihm sehen lassen, zögerte ich der eben einbekannten Feigheit wegen. Und ging zu ihm, weil ich meine Feigheit nicht leiden konnte. Ich wußte kein anderes Mittel gegen sie, als nicht zu tun, wozu sie riet. Und nicht zu lassen, wovon sie abriet.
Ich bin zu Walcher gefahren, Hohenschönhausen, fast unter der Gefängnismauer. Wie das mit solchen Leuten geht: Er hat mich ausgefragt. Wie mir das mit solchen Leuten geht: Ich habe ihm in allem Antwort gestanden. Will sagen, in allem, wonach er fragte.
Nach dem, was mir die Okarina bedeute, oder ob ich jemals im Kreml gewesen sei und wie es mir gefallen habe, fragte er nicht. Von Wanda wollte er hören, die er wie die Clara kannte. Oder wie die Rosa. Wie er die Namen der eisernen Damen mit seinem schwäbelnden Tonfall aussprach, klangen sie nach schnäbelnden Klärchen und Röschen. Warum ich Schweizerdegen beim Krauter geworden sei anstatt Brigadier bei der Tribüne . Ob der Lohn eine Rolle spiele. Was ich mir vom Nebenherstudium bei Niklas und dessen amerikanischem Kybernetiktick verspreche. Er habe das Buch von Wiener schon deshalb gelesen, weil Moskau es in Argwohn hülle. Er wolle ja Moskau gern folgen, nur habe er so gut wie nichts verstanden. Ob mir Wilhelm Strickland nicht wegen Moeller & Moeller und Schorsch Niklas und Norbert Wiener in die Parade gefahren sei. Ob ich hören wolle, wie Ulbricht ihn empfangen habe, als er 1947 aus Amerika kam. Er sei ins Liebknechthaus gefahren – »ähnlich wie du«, sagte er –, wo Ulbricht – »ähnlich wie Strickland mit dir«, sagte er – mit ihm umsprang, als schreibe man 1928 und als träfen der KPD-Sekretär und der KPO-Funktionär aufeinander.
»Ich hätt auch gut der Brandler sein könne«, sagte Walcher, um anzudeuten, wie der Walter mit ihm umgesprungen sei. Ich aber wußte spätestens, als sich der spärlich besetzte Zug von Bahnhof Grunewald auf den langen Törn zur Havelsee-Station Wannsee machte, daß an eine Begegnung zwischen Walter Ulbricht und Heinrich Brandler in der zum Thälmann-Film gehörenden Alsterpavillonkulisse am Griebnitzsee, welcher natürlich ein Havelsee ist, nicht zu denken war. Zumindestwußte ich es so lange mit einiger Festigkeit, bis ich Wehner beim Besuch in Honeckers Schorfheiden-Jagdhütte sah. Einem Anwesen im havelnahen Barnim nebenbei.
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Ronald brachte die Rede erst nach Umwegen auf Brandler zurück. Was gut war, weil ich nicht weiß, wie ich ihm bei normalem Gesprächsgang hätte verschweigen können, daß der wackre Schwabe von mir hatte hören wollen, ob Ulbrichts Tscheka von meinem Besuch bei ihm wisse. Daß Wollweber mich nicht schicke, stehe insoweit fest, als die Initiative nicht von dem, sondern von ihm selber ausgegangen sei, aber vielleicht hatte ich wem von ihr gesprochen. Hatte ich?
Hatte ich nicht. War mir nicht in den Sinn gekommen. In den war mir gekommen, daß Wollweber bestimmt ein Auge auf Walcher habe. Stalin-Gegner, Thälmann-Opponent, West-Emigrant. Deshalb mein unanständiges Zögern. Es war mir aber so wenig geheuer, daß ich nicht einmal meiner Zelle davon sprach. Was die Sache vielleicht entschied. Indem mir von Flairs Empörung ahnte und von Ronalds Befremden. Gabriel Flair war in manchem entsetzlich statutentreu, aber er predigte und lebte den Grundsatz vom Extra als Bedingung des Gehorsams. Was womöglich als eine Übersetzung von Die Ausnahme bestätigt die Regel gelten konnte. Und in Ronalds sächsischen Begriff von Spaß paßte die Vorstellung, sein Kumpel und Schweizerdegen trinke Tee mit dem Vorsitzenden des Gründungsparteitags der KPD und höre dabei, daß seine Lehrerin Wanda, die mit Rosa und Clara und sogar mit Iljitsch umgegangen und manchmal umgesprungen war, sich nach ihrem Schüler, dem kleinen Drucker von der friesischen See, erkundigt habe.
So gesehen hätte es für Flair ein Extra-Extra und für Slickmann den spaßigsten Spaß bedeutet, von meinem Tee mit Stalin zu hören. Doch enthielt ich beiden den Extraspaß vor und sagte
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