Okarina: Roman (German Edition)
Geschwister nicht zu interessieren schien. Er Ende sechzig, sie Anfang sechzig und eins wie’s andere jeder Kundschaft ungewahr. Auch meiner, der ich ihr Kunde nicht war.Sie lasen Zeitung zu vier Händen, hielten jene in diesen und ließen nur los, wenn sie einander Fingerzeige gaben. Worüber hinaus ihr Urteil über das Gelesene erklang. Was ich solange sympathisch fand, wie das Blatt, das sie lasen, eines wie meines zu sein schien. Was ich aber weniger sympathisch fand, als ich herausfand, daß, was sie lasen, mein E NDE war.
Zwar grüßte ich. Zwar nannte ich meinen Namen. Zwar bekannte ich, Bücherleser zu sein. Zwar ahnte ich, hier müsse ich Bücherkäufer werden. Zwar sagten sie, ihnen genüge, wenn ich alle literaturkritischen Stellen ankreuze und die so markierte alte Zeitung beim Abholen der neuen mitbringe. Oder die Bücherstellen ausschnitte und ihnen die Ausschnitte übergebe, wenn ich das unzerschnittene Organ an mich nehme. Zwar kürten sie mich zu ihrem Mitarbeiter, wie es informeller nicht ging. Zwar nahmen sie mich in Dienst, ohne mich zu dingen. Zwar sah ich von ihnen keinen Nickel. Aber sie sahen fünf Mark von mir.
Weil ich, die Sache der Ehre nicht unter die Farben des Geldes zu mengen, über meinem ihr Geschäft nicht vergaß. Zeitunglagern machte Lagerkosten. Die erstatten mußte, wer lesen wollte. Geben und Nehmen. Eine Hand und die andere. Handel als Umgangsform. Ware als Mittel, beim Tausch den Charakter zu wahren. Worum mir wie um einen ausgewogenen Haushalt zu tun war. Weshalb ich mich nach Wohlfeilem umsah. Was sich im Buchgeschäft unter fünf Mark selten findet. Wenn es weniger um feil im Sinne von käuflich als um wohl im Sinne von verkäuflich geht. Wodurch sich meine Wahl auf ein Heft von Reclam verengte. Ein postkommunistischpostgelbes Kommunistisches Manifest für fünf Mark, das präkommunistisch als Groschenheft gegolten hatte und nunmehr als Schriftstück mit Folgekosten gilt.
Wir haben den Einkauf nicht weiter besprochen. Ich redete ihnen sowenig ein E NDE -Abonnement auf, wie sie mir mich als ihren Hilfsarchivar. Sie waren vermutlich beschäftigt, mich unter Anschlag von dreihundert Zeitungstagen zu dreihundert Reclamheften zu verrechnen. Zwar führten sie im Wohlfeil-Bereich Das Buch der Lieder und Die Räuber , doch wie das Phantom in Europa sind diese Sachen ja nicht. So grüßteich die Sortimenter artig, und sie sahen mir grämlich nach. Wahrscheinlich, weil ich außer dem mir vertrauten Büchlein die ihnen unvertraute Zeitung aus dem Hause trug.
Als ich die Inhaber Ingermann in Begleitung meines E NDE s und auch des Schriftstücks verließ, von dem man in meiner Lage gar nicht genug kriegen kann, hatte ich die Ansicht seines Hauptverfassers, es komme darauf an, die Welt zu verändern, zwar nicht hinter mir, aber insoweit überprüft, als ich mit einem weiteren Klassiker wußte, wie schwer das zu machen war. Im Augenblick kam es mir auf eine Zeitung an, die all dies zu interpretieren wußte. Und zwar zum Frühstück mit frischen Brötchen. Und nicht zur Mittagszeit bei unfestlicher Aufführung meines Eintopfes dritten Teils.
Widriger als die Aussicht auf den war die auf weitere Telefonate, in denen ich weiteres Nichtgefallen vortragen mußte. Günstig allenfalls, dachte ich, als ich auf dem Rückweg das wache Theater zur Linken und den saisonal verödeten Bootsverleih am Ufer zur Rechten hatte, daß der Einfall, das Buchhaus zur Durchreiche für mein Journal zu machen, Herrn Spökings Kopf entsprungen war und nicht meinem. Was mir das Recht gab, vor dem nächsten Einwechselpunkt auf Prüfung zu halten. Sonst diente mir der unheikle Mann noch den Schuppen im winterleeren Hafen als halbtoten Briefkasten an.
Unleugbar lag er meiner ländlichen Siedlung näher als alles Bisherige, und vielleicht gab es günstigen Mietzinses wegen einen Behelfsbewohner in ihm. Einen, der Einsamkeit und Eisbäder liebte und einen geräumigen Briefkasten hatte. Für eine Zeitung, die er las, wenn er nicht gerade über seinen Memoiren als einstmals führender Bootsverleiher saß. Also eine Persönlichkeit, für die Kolporteur Spöking eine glückliche Hand beweisen würde.
Wie ich heimwärts rollte, die Zeitung auf dem Sitz neben mir, dazu das Büchlein, mit dessen Eingangssatz vom Gespenst in Europa so vieles begonnen hatte, entwarf mein interner Blechknecht gespenstische Möglichkeiten: Es wohne, so knarrte das phantasiegeneigte Ding, tatsächlich einer im Bootshaus, der sei bereit, dem
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