Okarina: Roman (German Edition)
sie würde mich in die Gęsia finden lassen. So daß ich in aller Ruhe den Verlust der großen Dunklen bedenken und dabei begrübeln konnte, was für ein Werk das gewesen sei. Der Name des Hauptdarstellers war, soviel hatte ich dem Plakat entnommen, James Mason, doch daß der Film They Met in the Dark hieß, blieb mir lange verborgen.
Er lief am Ende des Jahres 1948 am verwüsteten Potsdamer Platz, als ich auf dem Heimweg von Warschau nach Marne zwischen zwei Zügen durch Berlins zerwalzte Mitte streifte. Da es Herrn Mason infolge meiner Blickverschattung nicht gelungen war, sich mir einzuprägen, sagte mir sein Bild am Eingang sowenig wie der Titel Spionagering M. Dafür sagte die Klarinettenmusik aus dem Lautsprecher über der Kasse alles Nötige, um mich den Film erkennen zu lassen. Als wolle sich die Hauptabteilung Symbolwesen besondere Mühe geben, zeigte man jenes Werk, das ich in vielfachem Dunkel nur dunkel wahrgenommen hatte und das mir dennoch unvergeßlich war.
Fraglos durfte man es Lebensschaltung nennen, was mir am Potsdamer Platz geschah: Ich kam als freier Mann auf Gummisohlen und auch sonst nach den Standards der Zeit passabel gewandet aus einem immer noch fremden Land ins eigene heim. Zwar besaß ich das Gewehr nicht mehr, mit dem man mich bei der Ausfahrt ausgestattet hatte, doch hätte ich zu dieser Zeit bei dem Versuch, es zurückzugeben, ohnehin keinen Besitzer gefunden. Ich reiste lebensgierig in mein Vaterland, und eine Kinoklarinette, die in Warschau dieselbe gewesen war, rief mir in Berlin auf englisch zu, hier werde mir jeder Bescheid.
Der Fahrplan verhinderte, daß ich Teile meines Entlassungsgeldes an der Kasse ließ, die den Betrag einem erstaunlichen Umtausch unterworfen hätte. Am Fahrplan lag es auch, daßich keiner Großen oder Dunklen oder Behenden, an denen es in den heimischen Ruinen nicht mangelte, zu folgen versuchte. Hatten sie seit Warschau gewartet, würden sie bis Marne warten. Sagte ich mir und korrigierte mich vorbildlich: Hatte ich seit Warschau gewartet, würde ich bis Marne warten müssen. Aber ich fragte mich auch, ob ich das Mirakel nicht bedenken solle: Zum zweiten Mal nach vier Jahren, in denen ich zum mündigen Kinobesucher heranwuchs, stand ich auf ausgefallene Art an ausgefallenem Ort an einer Kinokasse, und der Film, den sie beim zweiten Mal zeigten, war hörbar der vom ersten Mal.
Zwar begrüßte mich keine Okarina, für die ich mein Ohr in diesen Aufbruchstagen weit offen hielt, aber um eine verfeinerte Flöte handelte es sich schon. So daß mich die sanften Töne erschreckten und mir zugleich gefielen. In welch verändertes Verhältnis ich eingetreten war, zeigte sich, als ich mich einen Besucher fragen hörte, wovon der Film handle. Mühsam unterdrückte ich den Wunsch, dem Berliner Unbekannten von der Warschauer Unbekannten zu erzählen, der ich dieselbe Erkundigung aus sprachlichen Gründen nicht habe unterbreiten können. Der Mann schenkte meiner Heimkehrergestalt einen abschätzigen Blick und warf mir die Auskunft hin: »Siehste doch. Det handelt von Schpione.« – Weil er vielleicht der berühmte Urberliner war, ließ ihn sein weiches Herz nach weiterem Blick seiner harten Augen auf meine rauhe Schale sprechen: »Sehn wa ma vonne alljierte Luftbrücke ab, is det alles, wat der Angloamerikaner kann: Luftterror und Ausschpähung.«
Nur zu vertraut mit seiner Tonart und meiner Antifa-Pflicht, ihm Antwort zu wissen, winkte ich ab und setzte mich zum Bahnhof in Gang. Wobei mich ungebärdige Gedanken im Rudel umsprangen. Mir wurde seltsam, als ich mich fragte, ob es ein Zufall sei, mit dem ich mich abfinden solle. Oder an der Zeit, nach dem Rot-Kreuz-Residenten in Berlin zu rufen. Um bei ihm über das schweizerische Präparat gegen Schwachsicht hinaus eines gegen Schwachsinn anzufordern. Und ihn zu bitten, sich statt der Unterbelichtung meiner Sehkraft der Überbelichtung meiner Einbildkraft anzunehmen.
Oder meiner Überheblichkeit. Die vorlag, als ich meinte, höhere Mächte hätten sich meinetwegen Mühe gegeben. Hätten gesorgt, daß ich gegen Ende 1948 auf dem Potsdamer Platz einem Kinostück begegnete, dessen ich im Herbst auf der Marszałkowska knapp ansichtig geworden war. Wozu denn solch ein Manöver, Mensch? fragte ich und gab die Antwort: Mensch, weil der führende Kremlmann dir sagen will: Vergiß mich nicht, wie ich dich nicht vergessen habe!
Das ist leicht behauptet: Mir seien Präsidenten-Gärtner und Residenten-Pillen zu Kopf gestiegen.
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