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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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hätte gereicht, mich englische Filme mit polnischen Untertiteln verstehen und marnesische Fragen im Marszałkowska-Tonfall sprechen zu lassen, schloß mich der zweite von etlichen Teilen bürgerlichen Lebens aus. Doch bedachte ich diese Grenzen nicht so sehr wie die meines Vokabulars. Zwar hatte mich dessen passiver Teil in den Stand gesetzt, die gemeine Botschaft zu entschlüsseln, ich sei ein freches und blindes Stück Scheiße, aber der aktive reichte kaum für die kontaktstiftende Erkundigung bei meiner Kassenschlangennachbarin, wovon der Film wohl handle.
    Gründe, auch von dieser Schönen wie von tausend anderen Abschied noch vorm Willkommen zu nehmen, hatte ich genug. Hingegen fehlte es mir am Grips dazu. Den verbrauchte ich auf das Problem, was wohl in Warszawa die Kinokarte koste. Und ob der Zloty-Betrag reichen werde, den mir Frau Danuta, die nicht unwitzig war, mit dem Bemerken gegeben hatte, es sei für den Fall, eine Dame spreche mich an.
    Was den Berliner beinahe veranlaßte, mir den Kodex zu singen. Er ersparte es sich, und ich ersparte ihm, mir ein weiteres Mal die Leviten lesen zu müssen. Ich tat es, indem ich die Dunkle und die Kasse und das Kino im Bericht vom zweiten Tag des Freigangs nicht erwähnte. Denn über den Verzicht auf die historische Argumentation und über den unverzeihlichen Kontakt zur schweizerischen Agentur hinaus eine Kinoaffäre, das wäre für alle zuviel gewesen. Also ließ ich sie aus. Zumal ich ungern von mir als einem reden wollte, der einer Frau in die Börse schielt. Wie bei einem Körpermanöver geschehen, das mir helfen sollte, die Zahlung der Schönheit, der ich kaum über die Schulter sehen konnte, zu verfolgen. Aufmerksam, obwohl ich dabei dem Kopftuch und dem Mantel verfänglich nahekam. Was sein mußte, weil eine Geldsache es wollte. Eine Operation, bei der es galt, den unbekannten, aber von mirmöglichst wortlos an der Kasse hinzublätternden Betrag zu ermitteln. Hinzublättern, vorausgesetzt, er finde sich in der gewünschten Höhe in meiner verwünschten Hose.
    Die schöne Person war wirklich behende. Als ich mein Billett in Händen hielt, zeigte sie sich nicht mehr. Zumal sich mir immer weniger von meiner Umwelt zeigte. So übersichtlich das beleuchtete Zahlbrett gewesen war, so schummrig wirkte das restliche Kino. Beziehungsweise, um so schwärzlicher wurde es um mich her. Was den Vorteil bot, daß ich, sollte der Kartenabreißer meiner Ausstattung einen mißbilligenden Blick gewidmet haben, unter diesem nicht erröten mußte.
    Den Eingang fand ich, indem ich mich an den Kinoton hielt, der aus dem Saal drang. Und an den Kinodunst, der mich einladend umhüllte. Ach, Wiederbegegnungen ihr! Nach dreieinhalbjährigem Entzug zurück im Filmpalast. Doch in einem, in dem ich nichts sah. Oder nur wenig. Einen schwächlichgelblichen Lichtschweif, der vom Lämpchen der Platzanweiserin herrührte. Ich hielt mich an ihn, weil ich mir sagte, vor mir habe die Lampe eine Besucherin auf ihren Platz geleitet, die ich zwar beschreiben, aber nicht hätte sehen können. Ich ließ mich vom zittrigen Licht auf einen Stuhl geleiten und hoffte, ein lichterer Augenblick des im Augenblick optisch düsteren Streifens werde zeigen, daß im Sessel neben mir die Gesuchte sitze. Was dann werden sollte, lag wie der Rest im Dunkeln.
    Auch das Filmgeschehen hellte sich nicht im geringsten auf. Wenn ich sein Englisch, dem ich mich ungewachsen zeigte und das vermutlich von polnischen Untertiteln begleitet wurde, die ich, selbst wenn ich sie gesehen hätte, nicht lesen und nicht hätte deuten können, dem restlichen Ton addierte, der neben einem allwaltenden Klarinettenmotiv aus Gläserklirren und gebellten Bestellungen weiterer Gläser bestand, und wenn ich dieser akustischen Größe die optische hinzufügte, die Ergebnis einer Licht-und-Schatten-Technik zu sein schien, bei der das Dunkel dominierte, konnte ich eine Handlung vermuten, die ihre Spannung vor allem daraus bezog, daß sie mir nur begrenzt zu Ohren und Augen kam.
    Natürlich saß die Begehrte nicht im objektiven wie subjektiven Dunkel neben mir. Dort saß jemand, der vornehmlichaus einem verhalten knarrenden und streng riechenden Lederolmantel bestand. Was sein Gutes hatte, da ich dem Mantel, als sich sein Besitzer zum Ausgang begab, nur folgen mußte. Ganz Ohr und immer der Nase nach.
    Wie aber leuchtete mir auf dem Kinohinterhof an Warschaus Marszałkowska die Natur mit mildem Septemberlicht! Mit einer Helle, von der ich wußte,

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