Okarina: Roman (German Edition)
Rinnen entbehren mußten. In Hosen schritt ich, die mir zu Zwecken des Freigangs geliehen worden waren. Da meine eigenen zu sehr im Kontrast zur Mode standen. Wenngleich sie als Kunstwerk galten. Doch hatte Frau Danuta trotz allen polnischen Kunstsinns erklärt, in ihnen lasse sie mich nicht auf die Straße.
Auch wenn er nicht als mein erster Ausflug in eine zeitlich begrenzte und schriftlich bescheinigte Freiheit gelten konnte, war er doch der erste ohne Auftrag. Jenseits aller historischen Argumentation zur Oder-Neiße-Linie und noch diesseits der Frage, ob ich zum Aufklärer hinter den feindlichen Linien tauge, wandelte ich in Weichselnähe obzwar in geliehenem Gewand, so doch in gehobener Stimmung. Und ohne ausreichend Verstand, wie sich zeigte. Ohne das nötige Bewußtsein, hätte der Erzieherrat gesagt, wenn ich ihm von Schweben gesprochen hätte. Weshalb ich meinen Lehrern von den Wonnen schwieg, mit denen es mich über die städtische Doppelschneise trug, die man Marszałkowska taufte.
Schon am Tag zuvor hatte ich sie passiert, doch war ich zu sehr von Ängsten beschwert, die sich aus allerersten Malen ergeben. Das Gestrige galt als Probelauf, und jetzt war freie Fahrt. Jetzt eigentlich trat ich in die Menschensiedlung ein. In die Lichterstadt, die ich dank der Residentur vom Roten Kreuz bald auch im Abendschummer sehen würde. Jetzt erst kam ich vom Appellplatz los und über den Handelsbudenplatz, der ein Teil von Warschaus neuem Anfang war. Ich geriet aus der auf andere Art überfüllten Gęsiówka und aus dem menschenleeren Bezirk auf Gehsteige voller tauschwertbewußter Leute, die mit dem einen ihrer sehstarken Augen potente Konsumenten zu erkennen suchten, während das andere nach Behördenkonfidenten Ausschau hielt. Sobald sie meine Pantinen, die im Sägewerk besohlt worden waren, sowie die Patchwork-Pantalons, denen es an jeglicher Paßform gebrach, besehen hatten, nahmen sie nicht weiter Notiz von mir. So daß ich mich fragte, wie sie mich wohl aufgenommen hätten, wäre ich in meinen angestammten Beinkleidern auf ihrem Forum erschienen.
Doch tat ich das ab und tat mir die Gegenwart von Menschen an, die mich duldeten, weil sie nicht wußten, wer ich war. Die nicht ahnten, daß ich keiner von ihnen war. Und nicht wissen durften, daß ich einer von jenen war. Soweit ich so mit mir verfahren konnte, verwies ich mich unwirsch dieser Gedanken. Verwies mich auf den unleugbaren Tatbestand, daß mich, was da Holzhuf, was da Flickenhose, die Blicke der einen oder anderen Marszałkowska-Besucherin streiften, als frage die Blickerin sich, was wohl an mir zu sehen sei. Zugegeben, diese Blicke ließen nach, sobald sie auf meine Gewandung fielen, aber zuerst waren sie, Irrtum gänzlich ausgeschlossen, aufgegangen über mir. Hatten mir geleuchtet wie Feuer zwischen Meer und Fluß. Hatten mir gefunkt: Ach, kehrst du wieder? Hatten geflaggt: Ah, du kehrst wieder! Hatten mir gegolten und versichert, ich sei von Herzen willkommen unter ihnen. Und anders unter ihnen müsse es nicht anders sein.
Gut, dann kam meine naturwüchsige Montur ins Spiel, und die Flammen legten sich. Aber gelodert haben sie, das sah ich genau, und was lodert, setzt weiteres in Brand. Womit ich bei dem Gesichtspunkt bin, durch den sich, wäre er dem Oberleutnant und der ihm vorgesetzten Danuta zu Gesicht gekommen, die Frage erledigt hätte, ob man mich trotz meiner Historia und obwohl ich ein blindes, blondes, freches Stück Scheiße war, für höhere Verkleidung vorsehen solle.
Um es praktisch zu benennen: Ich sah mich von jungen Frauenzimmern umstellt, denen allen ich, und wären sie gleich auf Bohlensohlen und in zerlumpten Lampenschirmen dahergekommen, den Hof hätte machen wollen, den Garten richten, den Rasen harken, die Treppe kehren, die Kammer räumen um und um. Ich sah mich von einem Wahn ergriffen, der Herrschaft übers unbelebt Stoffliche gewann. Über alles Geistige sowieso.
Ich hielt mich, anstatt mich bedeckt zu halten, zu Blicken befugt, die einen Teil des Oberleutnant-Urteils bestätigt hätten. Nicht daß ich mich strafbar vergangen habe, aber sträflich verging ich mich schon. Schlug Regeln in den Wind, die nicht ausgesprochen worden waren. Niemand hatte vor meinemFreigang das Gebot erlassen, ich dürfe weder des anderen Weib noch sonst ein Weib begehren. Von keiner Lehrperson wurde ein ausschließlich politmoralischpädagogischer Verkehr mit Personen weiblichen Geschlechts angemahnt. Vermutlich, weil so geartete Kreise
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