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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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globalen Leiter, dessen Kraft für den Potsdamer Vertrag ausreichte, ausgerechnet am Potsdamer Platz an dieser gemangelt haben?
    Mir fehlt die Unverfrorenheit, das anzunehmen. Genauer, sie fehlte mir bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Inzwischen weiß ich von Kräften sonder Zahl, an denen es dem Kreml und somit auch uns gebrach. Es wird die Rede darauf kommen müssen, doch vorderhand springe ich zurück nach Warschau, von wo es mich im unkontrollierten Gedankensatz nach Berlin getragen hatte. Im Schwunge auf den Flügeln des Gesanges einer Klarinette. Jenes Instruments, das, wie alle wissen, eine gesittete Enkelin der wilden Okarina ist.

7
    Ehe wir nach weiter Nennenswertem forschen, sei eingelöst, was ich hinsichtlich der Hose versprach, in der mich Frau Danuta nicht auf die Straße lassen wollte. Die hatten die Schneider aus Hameln gemacht. Als ich Mitglied ihres Komitees wurde. In der Zeit zwischen den Loren und dem behördlich zugelassenen Antifa-Rat. Wieder einmal bewährte sich mein Schweizerdegentum. Ich schien bei Amt als Sachverständiger angekreuzt zu sein. Als einsitzender Deutscher, der sowohl Drucker als auch Setzer war. Wie schon aus dem Gefängnis im Namen des Großen Flötisten und wie aus demselben Gefängnis im Namen der großen Amerikaner holten mich die Polenin ihrem eigenen Namen unverhofft aus dem Geröll ins Lager zurück und ließen mich aus einem Haufen Druckzubehör eine Menge Zubehör fürs Drucken machen. Im Großen betrieb ich, was mich bereits im weit Kleineren in Kinderheim und Militärmission beschäftigt hatte. Nur daß am neuen Arbeitsplatz außer jeglichem Legendenbau auch die Kindergärtnerin und ihr Gürtel unterblieben. Leutnantin Agnieszka wurde durch Herrn Fasolka ersetzt, der, wenn er in Laune war, seine Pistole in der hinteren Hosentasche trug.
    Um aus Gründen historischer Treue einen Ausdruck zu benutzen, der ähnlich dem Kürzel VEB längst in die Archive verschwand: Das in der Gęsiówka gelegene Zentrum für polygraphischen Bedarf , in dem ich das fachliche Sagen bekam, war Teil eines Kombinats. Zweig einer Unternehmung, die eine Resortierung versprengter Güter betrieb. In der Baracke zur Linken wurde bergehohe Fracht aus zusammenhanglosen Messern, Gabeln und Löffeln zurück zu Bestecken gereiht. Ebendort mußten Kellen, Quirle, Raspeln, Rollen, Siebe wieder zu Küchenarsenalen vereinigt werden. In der Baracke rechts türmten sich an die hunderttausend amerikanische Schnürstiefel, von denen keiner zum anderen passen wollte. Die Halde gleich daneben, die aus Damenstrümpfen bestand, konnte mit ihrem gewirkten Wirrwarr verwirrender nicht sein. Als habe die U-Bahn von New York eine Woche lang alle weiblichen Passagiere gebeten, zu karitativen Zwecken je einen kunstseidenen Strumpf in Behälter auf dem Bahnsteig zu tun, auf daß er zusammen mit neunundneunzigtausendneunhundertneunundneunzig anderen einen Fonds für notleidende Europäerinnen bilde, häufte sich die Spende der hochhackigen Untergrund-Reisenden in unserem Kombinat zum verknäuelten Massiv und regte die Mitarbeiter zu Kommentaren an. Nach Wochen, in denen zu jeder der unzähligen Weibersocken je eine unsägliche Kerlsgeschichte erzählt worden war, wurden die Gewebeballen zwecks Belüftung umgeschichtet. Meiner Treu, so viele Löcher in so vielen Strümpfen sah ich mein Lebtag nicht, und so viele Ratten möcht ich, traun, nicht noch einmal erschlagen müssen.
    Wie es von wenig administrativer Umsicht zeugte, daß die Nager das Strumpfzeug ungehindert zerbeißen konnten, zeugtees von Sinn für Prioritäten, daß der Teil des Kombinats, in dem Zucker und Mehl, Eipulver und Salz, Speck und Schmalz, Erbsen und Tee auf Abruf warteten, mit einer Sperre aus Stein und Eisen umpanzert war, an der die Ratten bestenfalls ihre Nagezähne schleifen konnten, ehe es sie vor Wut zu Paaren und in Scharen nach nebenan in die Strümpfe trieb.
    Lag es im Interesse der Verwalter, die Schätze nicht den Räubern zum Fraß fallen zu lassen, lag es auch im wohlerwogenen Interesse der Lagerarbeiter. Wir hatten zu tun, aus den gehorteten Substanzen ein Zubrot zu gewinnen und in den geenterten Kisten und Kasten keine erkennbaren Lücken wachsen zu lassen.
    Ich hörte gern zu, als die Schneider, mit denen ich allfeierabends in antifaschistische Kämpfe zog, befanden, meine Hose entspreche dem selbstgesetzten Auftrag nicht. Seit ich dazu neige, auf Schemel und Bänke zu springen, um unseren verblendeten Brüdern die Augen zu öffnen,

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