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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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die unseren nicht berührten. Vielleicht auch, weil uns kein Verbot auf unpassende Ideen bringen sollte. Oder weil dieser Teil der Natur als per Ukas stillgelegt galt. Weder der Berliner noch der Buchenwalder noch der Oberleutnant, die alle politische Brüder meines Onkels waren, hatte sich im Sinne des Spruches geäußert, den dieser Verwandte prüde wie der Rest seiner Weltbewegung mir mehrere Male vortrug, wenn er meinte, meine Aufklärung betreiben zu müssen. Er, der sonst um Worte nicht verlegen war, sagte wieder und wieder: »Das Beste, du, sind doch die Deerns!«
    Das war mir zu anregenden Teilen bekannt, als ich über Warszawas Marszałkowska wandelte, ein Freigeborener unter Freien, ein Freigelassener und selbst in Lumpen ein Jüngling noch, ein Freigänger, der just vom Schweizer Residenten kam und sich frei wie ein schweizerischer Schweizerdegen fühlte. Ein bald wieder helläugiger Geselle im Besitz von Mitteln, die ihm die Nacht zum Tage machen sollten. Kein grüner Junge, ein Mann von Welt, der sich selbst in Grüner Minna zu verhalten wußte und auch bei bewaffneten Damen keine Schulden machte. Einer, mit einem Wort, dem niemand sagen mußte, daß das Beste die Deerns doch waren.
    Zwar hatte ich soviel Verstand, den Warschauer Deerns sowie den Jungs am Freihandels-Budenrand von dieser Ansicht zu schweigen, doch nennenswert viel mehr Verstand hatte ich nicht. Mühelos, ich muß es so nennen, auch wenn es bloß gedankenlos war, knüpfte ich dort an, wo mich dreieinhalb Jahre zuvor der Hoheitsvogel unterbrochen hatte, als er mit einem Zettel im Schnabel und vom Führer einem Gruß geflogen kam. Ich lief blindlings hinter jedem Frauenzimmer her, an dem ich mich sattsehen wollte. Blieb geblendet bei jeder stehen, von der ich nicht genug kriegen konnte. Gaffte nach jedem fliegenden Rock und griff nur deshalb nicht nach jedem fliegenden Zopf, weil ich doppelt ein Ergriffener und kaum der Hälfte dieser Verfassung gewachsen war.
    Soviel wußte ich, aber als eine Erscheinung an mir vorüberschritt, der ich ansah, die könnte es sein, die wäre es gewesen, wäre sie statt auf der Marszałkowska auf dem Markt von Marne an mir vorübergeschritten, eine Dunkle, eine Behende, der ich nachgerannt wäre, der ich Worte gewidmet hätte und, solange diese Worte nicht gefunden waren, gefolgt wäre, ihres Ganges wegen, ihrer Größe wegen, die erheblich erheblicher als meine war, ihres Kopftuchs wegen und wegen der Teile von Hals und Haar und Nase, die das Tuch freiließ für mich begeisterten Gaffer, ihres Mantels wegen, der meinen tagsüber sehenden Augen nichts verbarg, ihrer ganzen Erscheinung wegen, die sich untrennbar, das stand dem Kenner fest, mit ihrem Wesen verband – als eine solche an mir vorüberschritt, knüpfte ich bei der Kühnheit jenes Herbstes an, der des Krieges wegen Abschied von Bekannten und Ankunft von Unbekannten brachte.
    Ich ging diesem Gange, dieser Nase, diesem Mantel, dieser Größe nach und war doch, o Wunder, nicht beschäftigt, mich mit einem Wortschwall aufzuladen. Ich hatte, ei Donner, den Verstand noch, wortlos bleiben zu wollen. Denn über die Eignung hinaus, einem polnischen Gespräch zu folgen, in dem es um meine Eignung zu Geheimem ging, sah ich mich nicht gerüstet, der marnesken Erkundigung, ob die Dame neu hier sei, frei heraus den rechten Marszałkowska-Tonfall zu geben. Vom rechten Marszałkowska-Wortlaut zu schweigen.
    Nur bleibt nicht jeder, der seine Grenzen kennt, dann innerhalb derselben. Ich zum Beispiel hielt mich stumm nahe der Behenden und folgte ihr findig verdeckt, als gelte es, dem Oberleutnant einen triftigen Anlaß zu geben, über ein künftiges Kapitel meiner Historia noch einmal nachzudenken. Ich blieb in der Spur von ihrem Tritt, als sie vor einer Kinokasse Aufstellung nahm, um in eine Anstalt einzutreten, die ähnlich schweizerischen Residentenhöhlen tabu für mich war. Nach geltenden Regeln gehörte ich Jeniec, sprich Gefangener, sowenig in ein polnisches Lichtspielhaus wie in das Fahrwasser polnischer Leuchtedamen. Selbst wo ich eine vergleichbare Leidenschaft für Hollywoods wie Warschaus unerreichbare Schöne hätte geltend machen können, war nicht vorgesehen,daß ich mich weichselstädtischen Cineastinnen nach den Mustern kalifornischer Filmkunst nahte und ihnen Hello, ma’am, auch mal was für die Augen tun? über die hohe Schulter spreche.
    Eine Frage sowohl meines Wortschatzes als auch meines gesellschaftlichen Status. Selbst im Falle, ersterer

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