Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
Gedanken nur der Schatten, und gleich gab ich mich wieder der Fahrt mit dieser Fuhre und der Gesellschaft dieser Fuhrleute hin.
    Gabriel Flair wußte zu jedem Trümmerhaufen das Haus und die Leute. Nichts schien natürlicher, als auf schmalem Brett und zerhacktem Weg vom Panoptikum zur vegetarischen Küche zu rumpeln und sich vom Dichter der jungen Generation das laute Jahr 1930 malen zu lassen. Wie mit manchem, ging es auch mit dieser Fahrt: Anfangs schien sie unmöglich, dann war ich mit Unbehagen beteiligt, das schwächte sich zu Befremden, von dem blieb ein Staunen, einmal ging mein Befinden bergauf, und an der Leipziger Straße regierte uns der Übermut.
    Slickmann fragte, wie es wäre: Statt zur Rohkostkneipe um die Ecke geradeaus über die Friedrichstraße zum Halleschen Tor. Hinaus aus dem sowjetischen Sektor und zu den Amis hinüber.
    »Da polieren sie uns die Fresse«, sagte Flair. In dem für seine Verhältnisse ungeschliffenen Satz schwang Sehnsucht mit. Ich aber war nicht scharf auf solche Tätlichkeiten. Ichhatte mein Teil davon gehabt und mich nicht daran gewöhnen können.
    »Besser nicht«, sagte ich, »wenn wir bei denen aufgeprotzt erscheinen, lesen sie den Firmennamen gar nicht erst zu Ende. Sie treten uns die Rippen ein und fragen nicht, ob dahinter das Herz eines Dichters schlägt. Seit der Blockade sind sie verroht. Wie ich uns kenne, wirft man mich aus der Partei dafür.«
    »Hat man es schon einmal?« fragte Flair und wäre im Falle, ich hätte einen so ungeheuerlichen Tatbestand gestehen müssen, vom Bock herunter und davon gestiegen. In den Geschichten über ihn war er ein furchtloser Mann, aber mit einem, den man hinausgetan hatte, gab es keinen Umgang. Das glaubte ich zu wissen, und darin konnte ich mich in sein Denken denken.
    »Es wurde angedroht. Der Kutscher hält zu den Zügeln mein Parteigeschick in der Hand. Lenkt er zur Mauerstraße, setzt es Porreefrikadellen. Rollt er geradeaus, spannen sie uns am Halleschen Tor oder an der Kochstraße das Pferdchen aus. Weil es ein Panjepferdchen ist. Und klopfen uns die Parteiabzeichen in die Schlüsselbeine. Wenn ich es überlebe, fliege ich raus.«
    »Das wäre doch ein Jammer«, sagte Ronald Slickmann und machte es aus tiefstem Glauchau klingen. Dann brachte er den Gaul auf vegetarischen Kurs.
    »Schade«, sagte Gabriel Flair und verschaffte sich vorsichtig Platz auf dem Bock, um auf die Bretter hinter sich zu klopfen. »Im Grunde dumm, meine Lieben. Denn zum Kühlen hätten wir ja etwas dabei.«
    Als wir vom Wagen kletterten, klang nicht nur mein Lachen erleichtert. Flair sah zu, wie Ronald sein Pferd an einer Laterne vertäute, und verhieß, eines Tages werde er ein paar frische Gäule mieten und mit uns über Land havelaufwärts fahren.
    Versprechen, Versprechen! Erst ein Buch von Upton Sinclair, nun eine Fahrt mit Gabriel Flair. Ehe ich nach Näherem fragen konnte, sprach Ronald im Aufsageton: »›Land ist meins, wenn meine Spur drüber geht.‹«
    Flair verdrehte die Augen und sagte: »Nun ja, mein Bester,das waren so Intentionen. Jetzt wird aber gefuttert, Jungs. Ich habe Kohldampf.«
    Wenn seine Sprache dunkel schien, war es wohl Dichterrede. Aber er liebte Ausdrücke von merkwürdiger Forsche, für die ich einen Anlauf benötigt hätte. Nach dem Magenknurren und dem ewigen Gerede darüber kamen mir Bezeichnungen wie Kohldampf abgeschmackt vor. Ausgerechnet abgeschmackt. Aber Flair, der viel länger eingesperrt war, hielt fest am abgebrauchten Vokabular. Er nannte uns ohne Mühe Jungs , und wenn er vom Futtern sprach, war es, als trügen wir kurze Hosen. Was Slickmann wie ein Anreißer von der Speisenkarte las, fand der Gastgeber, ob faschierte Karotten, ob Rübenbrisolette, großartig, und wenn sich Ronald mit einem Wort vertat, korrigierte Flair ihn, als habe der Kutscher ein Recht darauf. Ohne unsere Entscheidung abzuwarten, bestellte er Spinat mit Ei. Dabei fragte er die Kellnerin, ob ihrem Unternehmer nicht schaudere, wenn er für Eier Fleischmarken nehme. Obwohl die junge Person seiner Reden nicht weiter achtete, sagte er: »Aber wer im Vegetarierhaus Eierspeisen reicht, ist ohnedies ohne Prinzipien.«
    Hierzu wußte Slickmann kein Zitat; doch legte er – vermutlich, um Lernbereitschaft zu zeigen –, als er sah, daß der Dichter der jungen Generation zur Mahlzeit nur die Gabel und kein Messer benutzte, auch seines fort.
    Die Teller leer; ein Most getrunken, da wollte Gabriel Flair wissen, wie ich Manager bei Moellers

Weitere Kostenlose Bücher