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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Prolet kommt, wird gefragt, in welchen Tönen er vor vier, fünf Jahren im proletarischen Sachsen zu vernehmen war.«
    In ordentlichem Hochdeutsch antwortete der Eismann, vor fünf Jahren, also mit fünfzehn, habe er in der Tuchfabrik Ballen gedrückt.
    »Beim Herrn Vater?«
    »Der saß im KZ.«
    »Natürlich ist er Kommunist gewesen!«
    »Er ist es noch.«
    »Wißt ihr«, sagte Flair, »warum ich in meinen kleinen Sachen gegen den Argwohn eifere? Weil er mich auffrißt. Entschuldigung. Geht ihr mit mir essen?«
    Ich war selten zum Essen eingeladen worden und von einem Dichter noch nie. Wie ich überlegte, ob ich in ein außerordentliches Verhalten springen müsse, antwortete Slickmann, als gehe es von Sachsen nach Sachsen, er finde Flairs Idee gar nicht schlecht.
    Friedrich Moeller war mit einem verschlungenen Sachverhalt befaßt und ließ mich ohne Nachfrage gehen. Auf der Treppe entnahm der Eismann einer Hannewacker-Schachtel sein Parteiabzeichen und steckte es nicht ohne sprechenden Blick auf Flairs und meinen Rockaufschlag an seinen. »So!« sagte er dazu und ließ das Wörtchen in allen sächsischen Farben blühen.
    Ehe ich entscheiden konnte, ob es peinlich sei, befand Gabriel Flair und schien keine Peinlichkeit zu fürchten: »Da wäre die Zelle komplett!« – Es war ein Ausdruck aus gründlich anderen Verhältnissen, aber daran, daß ich ihn annahm, zeigtesich Annäherung. Auch wenn mir verrückt vorkam, daß ich so von Flair und mir und Annäherung dachte.
    Vielleicht machten es die Abzeichen? Unmöglich, anders als du zu einem zu sagen, der eines trug. Möglich, dem Fremden zu trauen, der so markiert war. Dem Fremden? Wir zeigten gerade, daß wir nicht Fremde, sondern Genossen waren. Das hieß uns von fremd das Gegenteil.
    Dachte ich, als wir so geschmückt auf das Trottoir hinter der Friedrichstraße traten und einigen Passanten anzusehen war, daß sie von uns weniger hoch dachten. Es störte uns nicht; wir waren die Zelle, und niemand sonst zählte als Teil davon.
    Slickmann sagte, an der Schildkröte stünden Löffelerbsen angeschrieben; er liefere dort Eis. Mit Blick auf Ronalds Abzeichen fragte Flair: »Gehen wir mit oder ohne?« Als wolle er niemanden in Verlegenheit bringen, fuhr er fort: »Oder mögt ihr vegetarisch? In der Mauerstraße machen sie es gut. Sehr kühn: Wo alle Welt kein Fleisch zu beißen hat, annoncieren sie es als Tugend.«
    Ich sagte nicht, was ich von der Offerte hielt, doch dachte ich: Noch eine Ersttat! Es war aber Friederike Moellers Küche einer der Gründe, warum es mir im Hause Moeller & Moeller gefiel.
    »Da fahren wir vor!« rief Ronald Slickmann, und auch wenn er kaum Vegetarier war, ließ er freudige Bewegtheit erkennen. Er kletterte auf den Bock vom Lieferfahrzeug der Firma Josef Stalinski und behauptete, wenn wir uns nicht zu breit machten, reiche der Platz für drei. Gabriel Flair hatte eine kurze Beratung mit Gabriel Flair und zeigte sich beim Aufstieg behende.
    Als ich neben ihm saß, merkte ich, daß ihm unsere körperliche Nähe zu schaffen machte. Auch mir gefiel die Enge nicht, aber ich litt nicht unter ihr. Und ich vermochte nicht, was Flair gelang. Er hockte, wenn nicht eingequetscht so doch eingezwängt, zwischen Ronald und mir und hatte unleugbar mehr als Tuchfühlung mit uns, aber es umgab ihn eine Hülle, in der er es aushalten konnte.
    Und einspännig über die Friedrichstraße fahren. Einspännig und als einer von dreien, die sich einen Kutschbock teilten, der für einen einzigen Kutscher gedacht war. Dreie mit Parteiabzeichenauf einer beräderten Kiste für Stangeneis der Marke Josef Stalinski. Dem Dichter der jungen Generation liefen Tränen über die nicht besonders glatten Wangen, und ich fragte blöde genug: »Weinst du jetzt, Genosse Flair?«
    »Es muß aus mir heraus, es hat die Gestalt von Tränen, aber es will mich ein Gelächter von der Equipage stoßen.« Sagte er und konnte sich nur stückweise mitteilen: »Menschmeier, wenn das einer sieht! Flair vierelang die Friedrichstraße runter. Handelt neuerdings mit Stangeneis, der Gute. Rast kutscherblau und rossepeitschend durch die hauptstädtische City. Seit an Seit mit sächsischem Proletariat und dem Schriftsachverständigen der Schriftsachenfirma Moeller. Die fröhlichen Drei von der Einheitspartei. Auf einem Schinderkarren, der Josef Stalinski gehört. Platz da, Genossen, hier kommt der Kampfgeist zu Pferde!«
    Mir war der Vorgang nicht geheuer. Oder nicht der Vorgang, sondern dessen Teil,

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