Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
der Gabriel Flair hieß. Der Gedanke, es könne uns jemand erkennen, hatte auch für mich wenig Anziehendes. Ich hoch zu Roß im Verein mit einem weinenden Dichter über die Friedrichstraße, das würde mancherorts nicht komisch wirken.
    Da hieße es gleich: Dem geht es schon wieder zu gut. Viel zu sanft sind wir mit ihm verfahren. Hinaustun hätten wir ihn sollen. Statt Arbeit Ausritte, das ist er. Galopp durch die Weltgeschichte, da habt ihr ihn. Der Dämpfer hat den keineswegs gedämpft.
    Doch, Genossen, er hat. Es ist, als hänge mir jemand am Arm, um mir, ganz gleich, worum es geht, in diesen zu fallen. Als stopfe mir einer ein Tuch in die unbedachte Lache. Als male sich drohende Schrift über jedes Bild. Dabei ist es jetzt schon besser. Ich denke nicht mehr jede Minute daran. Es gibt Stunden, in denen ich es für Viertelstunden vergesse.
    Es ging mir nicht schon wieder zu gut; es ging mir nur nicht mehr so schlimm. Wer mich mit Flair und Slickmann sah, mußte es sehen. Was Flair sich nur halb erlaubte, leistete ich mir ganz. Ich konnte die Idiotie der Kutschpartie ermessen und fiel beinahe vom Bock. Wir hatten die großen Parteiabzeichen an, nicht die kleinen, die gerade erst in Mode kamen; wir hattenalle drei die großen Parteiabzeichen an und fuhren auf einem Kastenwagen, der Josef Stalinski gehörte, die Friedrichstraße Richtung Mauerstraße und wollten vegetarisch essen. Ein Großmaul aus Glauchau, ein Spezialist für Bühnenstücke und zu den beiden ich.
    Links und rechts unserer Spur türmte sich Schutt, wie ich ihn von Hamburg und Lübeck und besonders von Warschau kannte. Wir fuhren über den einstigen Nabel der Welt. Die zwanziger Jahre lagen zwanzig Jahre zurück und hatten es hier am tollsten getrieben. Die vierziger Jahre hatten es toll mit Berlin getrieben. Den Lebenächten war nächtlicher Tod gefolgt; nach kolossalem Spaß kamen welche, die kolossal Ernst mit der Friedrichstraße machten. Wo es eben himmlisch zuging, taten sich die Himmel auf. Unterm aufgerissenen Asphalt sah man die Erde wieder.
    Dort kamen wir als Troika daher, hatten die großen Parteiabzeichen an und hatten ein großes Maul, alle drei. Ronald Slickmann von Natur, Gabriel Flair von Profession und ich aus Natur und Gelegenheit. Flair trocknete seine Tränen und erzählte überlaut von einer Welt, die uns nur Behauptung war. »Kinder«, schrie er, »was empfinde ich denn! Wie oft bin ich diesen Fluß auf dem Omnibus hinunter. Oberdeck, und an den Ufern Pagenköpfe und Bubiköpfe und Taft und Seide und Shimmy und Blues. Keine Sorge, ich enthülle nicht, daß ich ruchlos war. Ihr seid ruchlos auf eure Weise; was soll das Bräutezählen. Aber diese Meile, über die wir so seltsam traben, war die verschärfte Welt. Und ich allen Ernstes mit meinen Flugblättern dazwischen. Sogar in Castans Panoptikum Ecke Behrenstraße bin ich mit den Zetteln gewesen. Die eine Schnurrpfeiferei; dann soll die Torheit schweigen. Ich hatte mich, völlig plemplem, zwischen Eckensteher Nante und dem Schusterjungen postiert und war leblos wie die Wachsfiguren. Händigte ich dann Flugblätter aus, wurden sie nicht gleich weggeworfen. Man fand es sportiv. Aber einmal fragte einer, den ich auf Studienrat taxierte, ob neuerdings auch der ganz gemeine Pöbel ins Panoptikum gehöre. Ich dazu, Körper aus Wachs, Pupille starr, Lippen kaum bewegt: ›Obacht, Herr Doktor, der Pöbel lebt!‹ – Was glaubt ihr, wie das Wirkung machte.«
    Wir glaubten es und äußerten uns beifällig auf dem überladenen Kutschbrett und wurden belehrt, politisch sei die Schnurrpfeiferei natürlich nicht vertretbar gewesen.
    Für einen Augenblick hatten die großen Parteiabzeichen ihr Wesen über uns. Wir bedachten, inwiefern es als Fehler galt, bei Castan die Studienräte zu erschrecken. Selten fragten wir, wenn so selbstkritische Rede ging, wie weit wir betroffen seien, da wir doch zur Tatzeit noch gar nicht zählten. Wir sagten, wir haben Fehler gemacht, und meinten uns und unsere Fehler damit.
    Auf Stalinskis Eiswagen hielt ich für möglich, es könne eines Tages als Schnurrpfeiferei gelten, so hoch zu Rad und durch die größeren Plaketten ausgewiesen als Genossen, so durch und durch erheitert in der verschwärzten Landschaft, so ungebührlich verjuxt auf einer Straße, die wenig mehr als eine Narbe war, so gewesen zu sein und uns so verhalten zu haben, wo doch die Forderung des Tages und die Forderungen der Zeit anderes von uns verlangten. Doch war das von einem schattenden

Weitere Kostenlose Bücher