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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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heißt. Auch schreibt er sich ja anders, sagt er. Er sagt aber nicht, wie anders als wer er sich schreibt.«
    Stalinskis Angestellter gab mir einen erheiterten Blick. »Für die Konspiration nicht schlecht. Wenn sie neu sind, rufen sie im Westen: ›Was denn, Stalinski, der Eismann?‹ Im Osten sagen sie es nicht so laut. Wenn sie länger im Dienst sind, heißt es auf beiden Seiten, ›Ah, Stalinski, der Eismann!‹, und Kontrolle ist nicht.«
    Mir war nicht behaglich; mit dem Namen machte man keine Witze. Vor Fremden schon gar nicht. Also fragte ich: »Und Frau Moeller soll die Fuhre bestellt haben?«
    »So steht es geschrieben. Die Dame hat geordert, bezahlt und die Adresse genannt.« – Er entfernte ein Schloß und sagte, als wolle er mir zeigen, wie sehr er zum Hänseln aufgelegt sei: »Wir sind zur Stelle, die Ware und ich. Was, Genosse, begehrst du noch mehr?«
    »Bei diesem Verkehr sollten wir uns den Genossen sparen.«
    »Betrachte mich als Rote Hilfe«, sagte er.
    »Wenn es deine Konspiration nicht verbietet – wie kommst du an meine Chefin?«
    »Wenn es deine Phantasie nicht übersteigt: Durch meine Chefs. Und wie kommst du an deine?«
    »Das ist etwas anderes. Ich arbeite bei denen«, sagte ich und hätte den halb verlegenen Beiton gern überhört.
    Er förderte zwei Kartons zutage, doch ehe er mir einen davon zuschob, sagte er, er wiederhole, er heiße nicht Josef Stalinski, sondern Ronald Slickmann.
    Er machte seinen Namen klingen, als gehöre auch der öffentlich angeschrieben. Und nicht nur auf spröde Karrenbretter, von denen die Tünche sprang. Vorsichtig fragte er: »Den Mann in deinem Kabinett, könnte ich den schon gesehen haben?«
    »Möglich«, sagte ich und wunderte mich über meinen Stolz. »Gabriel Flair heißt er. Er schreibt übers Theater und manchmal auch Theaterstücke. Ein Kunde.«
    »Der Dichter Flair? Mensch, der hat die Rote Jugend verfaßt. Und Gavroche in Preußen. Und der sitzt in deiner Bude?«
    »Irgendwo muß er doch sein.«
    »Ja, aber bei dir? Du läßt mich Kühleis abladen, während sich der Dichter der jungen Generation in deiner Werkstatt befindet?«
    »Was hätte ich tun sollen?«
    »Uns bekanntmachen. Gabriel Flair ist kein Privateigentum.«
    Der Eiskutscher redete sich heiß. Vergaß man, daß er mit gefrorenem Wasser hausierte, wirkte er erfolggewohnt. Es schien ungerecht. Wegen meines Vorsprungs an Jahren hatte ich Setzen und Drucken gelernt. Aber soviel größer als Josef Stalinskis Eiskarren war die Firma Moeller & Moeller nun auch wieder nicht.
    Ronald Slickmann klatschte mir das Handtuch auf die Schulter und sagte, er werde die Lieferung tragen, und ich solle aus Gründen der Konspiration noch etwas Eis nach oben bringen. Er versah mich mit der klobigen Last und verschloß den Wagen, ehe er sich unter beide Pakete stemmte.
    Ich hörte seinen Atem über meinem nicht, als wir Papier und Eis am sinnenden Friedrich Moeller und am lesenden Gabriel Flair vorbei in den Werkraum trugen. Barren kam zu Barren, die Konterbande hinter den Werktisch und der Raum unter Slickmanns prüfenden Blick. »Du solltest es Studio nennen«, sagte er, während er sich die Hände wusch, »Kabinett klingt nach Regierung.«
    »Und Studio nach Hollywood.«
    »Ist doch nicht schlecht«, sagte Slickmann. Er nahm das Tuch von meiner Schulter, legte es auf seine, wischte die eben gewaschenen und getrockneten Finger daran ab, prüfte ihre Sauberkeit, stellte sich vor Flair hin, rührte mit der Linken an dessen rechten Oberarm, ergriff die Hand des Dichters, hielt sie und sprach: »Genosse Flair, weiter will ich nicht stören.«
    Als er die Hand losließ, sah es aus, als gebe er sie zurück. Und zwar ungern. Er winkte Abschied mit einer großen Vogelhändler-Gebärde, die ich aus einem Film kannte, in den ich versehentlich geraten war, und schritt zur Tür. Auf meine Frage, ob er keine Quittung brauche, zeigte er an, daß er sich für ein wenig von Sinnen hielt.
    Gabriel Flair sagte, ginge es gerecht zu auf dieser Welt, von der die Bühne ein Teil sei, wartete ein Engagement auf den Eislieferanten. Vorausgesetzt, er tausche den Wohllaut von Glauchau gegen Hochdeutsch ein.
    »Glauchau, genau!« sagte Ronald. Dann rief er im Aufsageton: »Glauchau im proletarischen Sachsen! – ›Auch meiner Heimat Pflaster ist der Erde Teil!‹«
    Flair seufzte, immer würden die pathetischeren Stellen aufgeführt, aber sein Kummer schien gering. Er setzte sich gerade hin und sagte mit Schärfe: »Wer mir als

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