Okarina: Roman (German Edition)
Rest, weil er wohl ahnte, daß hier von einer anderen Sittlichkeit die Rede war. Da ich meinte, auf seiner Seite sein zu müssen, sagte ich: »Ich sah einfach nicht, wozu wir einen Karl Liebknecht ohne Schwanken brauchten.«
Auch das sei keine besonders sittliche Fragestellung, befand Flair, und Ronald nutzte es, um mir eine ganz und gar sittliche Frage zu stellen: »Warst du gern auf der Schule?«
Damit hatte ich mich nur halb befaßt. Vielleicht, um einen Verlust nicht wahrzuhaben. Die Schule glich das Gefälle zwischen altem und neuem Leben aus. Heimkehr war mehr als willkommen, doch hatte ich nach großem Aufwand begriffen, daß etwas von Umkehr stattfinden müsse. Mir behagte nicht, nur von glücklicher Heimkehr zu hören und mit keiner Silbe, zu wessen Unglück wir aufgebrochen waren. Ich weiß, es war zuviel verlangt von Leuten, die sich als Opfer fühlten, weil sie, wie sie es sahen und wie es meist auch stimmte, unter Zwang in die Uniform mußten.
Am Anfang genoß ich, gefragt zu werden, ob es schlimm war, wo ich war. Aber einmal fiel mir die Abwesenheit der Frage auf, ob ich schlimm gewesen sei. Ob wir schlimm gewesen seien. Nicht daß ich das nicht kannte, doch daß man es in der Schule, die sich als neu verstand, nicht anders hielt, verwirrte mich. Und machte mich aggressiv. Die meisten waren heimgekehrt wie ich und mochten mein Getüftel nicht. Sie wollten zu Hause sein, Ende. Vor allem wollten sie keinen Wörtern nachfragen; sie hatten andere Sorgen.
»Ich weiß nicht, ob ich gern dort war«, sagte ich. »Die Schule schien ein Mischzustand zwischen Gefangenschaft und Freiheit. Ein günstiger Punkt, mir das eine ab- und das andere anzugewöhnen.« Weil ich sah, daß Ronald dazu Vorstellungen hatte, setzte ich hinzu: »Vor allem gab es viele Bücher.«
»Und die Schüler fehlen dir jetzt?«
»Das waren keine Kinder. Die waren so alt wie du und ich und zweie sogar wie Genosse Flair. Habe ich das nicht gesagt? Es ist eine Parteischule gewesen.«
Ich schien es wirklich nicht gesagt zu haben, denn Slickmann sagte: »Mit wem man so alles Spinat ißt!«, und Flair nannte mich einen Gelehrten. Es war nicht zu erkennen, ob die Mitteilung ihren Alarm verschärfte. Womöglich nicht. Weil ihnen und mir die Partei und eine Parteischule nicht dasselbe waren. Natürlich hatte die Partei im Wort Parteischule die Oberhand, aber die Schule, diese unbeliebte, wenn auchnicht unbesiegbare Anstalt war dem Wort nicht auszutreiben. Ein Krieg mit der Parteischule galt als Vergehen, aber nicht als Verbrechen. Ein Krieg mit der Partei allerdings hieß Verbrechen.
»Wißt ihr«, sagte Flair, »ich habe nicht einmal Abitur.« – Als mache ihm Unbehagen, daß wir mit der Eröffnung nichts anfangen konnten, erledigte er sie: »Na schön, das sind so Privatsachen, Schwamm drüber! – Und die Partei gestattet dir, dich ins bürgerliche Leben zu verdrücken?«
Der Vorwurf paßte mir nicht. Es war ein Unterschied, ob die Partei etwas befahl oder gestattete. Wenn sie befahl, mußte man gehorchen. Es ging um sie, wenn sie befahl. Wo es ums Gestatten ging, ging es auch um mich. Ich hatte mir vorgenommen, streng meiner Befugnisse zu achten. Die Partei konnte wollen, daß ich mein Leben gebe, aber gestatten oder nicht gestatten, wie ich lebte, konnte sie kaum. Über Großes hatte sie alles Recht, nicht über Kleines. Es ging sie nichts an, was ich zum Frühstück aß. Fassungslos hörte ich einmal die Antwort, doch, es gehe sie etwas an.
Selbst vom bergeshohen Theatermann wollte ich nicht gesagt bekommen, es stehe bei der Partei, ob ich wieder Setzer sein dürfe. Deshalb ging ich darauf nicht ein. Das andere aber konnte ich ihm, berühmter Bühnenmensch hin, bekömmliche Einladung her, nicht schenken. »Um das klarzustellen, Genosse Flair«, sagte ich, »ich bin nicht aus bürgerlichem Leben gekommen, folglich ging ich auch nicht dahin zurück. Wer von meinem Verdrücken spricht, deutet Feigheit an. – Entschuldige, kennen wir uns so gut?«
Flair schlug mit drei Fingern scharf auf die Tischkante und sprach angetan: »Fabelhafter Tag! Auf einen Streich zweie mit Zähnen im Maul!« – Er stand auf, gab uns die Hand, rief: »Ein Vergnügen, Genossen!«, rief über die Schulter: »Bittschön, Fräulein, Kassa!« und war eher an der Tür als sie am Wechselgeld.
Ronald bewies Übersicht. Mich ermunterte er, den Moeller-Kunden nach seinem Auftrag zu fragen, und mit der Kellnerin beredete er in großem Ernst etwas, das sie gleichmütig
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