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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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aufnahm. Vor der Tür spähte er vergeblich nach Flair, zog mich zusich auf den Kutschbock und fragte: »Zurück in dein bürgerliches Leben? Wenn ja, können wir am Adlon vorbei?«
    Ich war es zufrieden, denn ich schien einen Freund zu gewinnen. Was mir, da ich etliche verloren hatte, entgegen allem Vorsatz willkommen war. Der Kutscher brachte sein Pferd in Gang und wedelte mit der Peitsche über die Schulter. – »Sie winkt zurück«, sagte ich, »sie winkt hinter der Gardine.« – Die Augen auf dem Verkehr, den Ton aus Glauchau, antwortete er: »Nu klar!«
    Bis zur Leipziger erfuhr ich, er sei zum Feierabend im Wort mit der Kellnerin. Nein, die Kutsche stehe dann im Stall. Nicht daß sie nicht gelegentlich der Brautfahrt diene, doch brauche es Zeit, um aus ihrem Frachtraum einen Salon zu machen. Die meisten fänden es romantisch, sagte er und schloß den Satz mit seinem tuchwebersächsischen und ausrufezeichenstarken Du . Ich sollte lernen, daß er mit ihm herzensfreundlich nach dir greifen oder es einem wie eine Faust unter die Nase halten konnte. Je nach Ton geriet man in Verschwörungen mit Ronald Slickmann oder fiel aus allen Bündnissen.
    Bis zur Wilhelmstraße überließ er es mir, die Verwendbarkeit der Kalesche zu bedenken, dann sagte er, als sei nicht Flair, sondern er der Dramaturg: »Wenn du einmal eine ungestörte Bleibe brauchst, ich fahre dich und Wieheißtsiegleich unter die nächste Kastanie und komme zum gewünschten Zeitpunkt wieder.«
    »Und was macht das Pferd? Lauscht es und erzählt nachher?«
    Das Pferd sei Teil der Konspiration, erfuhr ich und sah nach einem Wink mit dem Peitschenstiel, wonach er Ausschau gehalten hatte. »Vorm Genossen Flair mache solche Witze nicht«, sagte er und wies auf den Bühnenautor, den wir übrigens später und hinter seinem Rücken, versteht sich, den Großen Dramaturgen nannten. Er ging etwas breitbeinig in der Mitte des Gehsteigs, schwang die Arme weit vom Körper und hielt den Kugelkopf mit rötlichem Haar angeschrägt, als empfange er Signale aus den Wolken. Er muß aber die Ohren im Straßenlärm hinter sich gehabt haben, denn als Stalinskis Kutsche nebenihm knirschte, reichte er mir einen Umschlag zum Bock hinauf und sprach: »In unserem Haus spielen sie zwar einige meiner kleinen Stücke, aber es verzehrt ihren Verstand. Niemand weiß noch, was ein Programmheft ist. Sieh doch zu, mein Lieber, daß ihr es anständig macht!«
    Ich versprach mein Mögliches, aber Ronald war schon an der Reihe. Flair fragte, wobei es ihn nicht zu scheren schien, daß alle Welt zuhören konnte, was es auf sich habe mit der Konspiration.
    »Kommst du auf den Bock, oder kommen wir auf die Erde?«
    »Ihr steigt herunter. Ein zweites Mal macht die Sache abgeschmackt.«
    Es gehörte früh zum Verhältnis zwischen uns, daß Ronald und ich manches überhörten. Wir wollten nicht immer melden, wenn wir etwas nicht verstanden. Aber Ronald meldete es mir, und ich meldete es ihm. Das hat zwischen uns viel ausgemacht.
    Obwohl wir kaum sahen, warum wir laufen sollten, wo wir fahren konnten, sprangen wir auf das Pflaster; Ronald nahm die Zügel kurz und übergab sie mir; der Wagen rumpelte hinter uns her, und der Kutscher gab dem Dichter Bescheid: »Krumme Wege sind manchmal die kürzesten. Am Start will man, daß ich ankomme; am Ziel fragt keiner, woher. Die Fahrt ist wenig, die Fracht fast alles im Tauschverkehr. Verdeckte Routen sind einträglich. Also blase ich einen Rauch über meinen Kurs.«
    »Über deine Erklärungen auch«, sagte Flair und versicherte, ihn ziehe es nicht in sinistre Fuhrgeschäfte. Sein Bedarf an Abenteuern werde in der Dramaturgie eines hauptstädtischen Theaters gedeckt. Auch der Schweizerdegen mache diesbezüglich einen ausgelasteten Eindruck. Parteischule und Tischbeißen, na proste! Vielleicht habe das Wort Konspiration zur Verwechselung von Untergrund und Unterwelt geführt. Auch der Signalwert von Tönen sei Sache des Milieus: Trompetenschall straffe zwar den Soldaten, das Säuseln der Okarina aber den zivilen Jüngling weit mehr.
    Ronald überging Flairs Bescheide und sagte, als habe er uns ein mehr als vorteilhaftes Angebot gemacht: »Ihr wollt also nicht ins Frachtgeschäft? Kenntet ihr es, wolltet ihr.«
    Ich sah zum ersten Mal ein entrücktes Lächeln an ihm, das mir dann lange behagte. Es enthüllte eine Verfehlung und forderte auf, bei ihr mitzutun. Es bekannte Vergehen und fragte frech, wer sie wohl verhindern wolle. Es war Selbstanzeige und Anfang

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