Oksa Pollock. Der Treubrüchige
geblieben, als sich dieser unwiderlegbaren Argumentation zu beugen. Und so hatte sich Orthon allein auf die Suche nach der Jungen Huldvollen begeben.
Mit der bewusstlosen Oksa in den Armen stieg Orthon bis zum Erdgeschoss der Gläsernen Säule hinauf und beschloss dann, bis zur obersten Etage, wo sein Vater residierte, zu vertikalieren, anstatt den Aufzug zu nehmen. Dieser effektvolle Auftritt mit einer leblosen Oksa auf den Armen würde obendrein die Rette-sich-wer-kann in Panik versetzen. Damit würde er allen deutlich zu verstehen geben, wer hier der wahre Herrscher war: nicht Ocious und schon gar nicht dieser Heuchler von Andreas, sondern er ganz allein. Dem Mädchen ging es zwar schlecht, aber es würde nicht sterben. Noch nicht jedenfalls. Nicht, solange er Herr der Lage war. Die anderen mochten denken, was sie wollten, dank seiner Intelligenz und Kaltblütigkeit war er die einzige Person in ganz Edefia, die überhaupt ein Minimum an Kontrolle besaß. Und zwischen Kontrolle und absoluter Macht lag nur ein winziger Schritt, den er alsbald zu vollziehen gedachte. Angestachelt von seinem maßlosen Ehrgeiz, trat er unter den verunsicherten Blicken der Wachtposten auf den Vorplatz der Gläsernen Säule, richtete den Blick nach oben und hob ab.
Bruchlandungen
A
ls Pavel Orthon am Zimmer vorbeivertikalieren sah, glaubte er zuerst an einen bösen Traum. Aus Sorge, dass seine Vision doch der Wahrheit entsprechen könnte, ging er auf den winzigen Balkon hinaus und reckte den Kopf nach oben. Tatsächlich: Sein Erzfeind hielt Oksas leblosen Körper in den Armen!
»Was hast du mit meiner Tochter gemacht?«, schrie Pavel.
Orthon bedachte ihn bloß mit einem hämischen Lächeln und vertikalierte zur darüberliegenden Etage. Das war zu viel für Pavel: Der Tintendrache erwachte mit züngelnden Flammen zum Leben und schwang sich mit einem Gebrüll in die Luft, das bis in die letzten Winkel der Goldenen-Mitte widerhallte. Die Bewohner der Stadt und der Gläsernen Säule liefen zu den Fenstern, um zu sehen, was da vor sich ging. Der Tintendrache umkreiste voller Verzweiflung die ehemalige Wohnung der Huldvollen. Ein ganzer Schwarm von Hellhörigen hängte sich sogleich an seine Fersen. Doch die läppischen Angriffe der Raupen konnten nichts gegen den Drachen ausrichten, und seinem flammenden Atem entkam keine einzige von ihnen. So regnete es plötzlich verkohlte Hellhörige auf Ocious’ Balkon, der die Szene aus seinen Gemächern im obersten Stock beobachtete.
Als sein Sohn mit der Jungen Huldvollen auf den Armen eintrat, stellte der Oberste der Mauerwandler eine Gleichgültigkeit zur Schau, die er keineswegs empfand. Orthon hatte wieder mal einen ziemlich spektakulären Auftritt hingelegt, das musste man ihm lassen. Allerdings hatte er sich nicht gerade einen günstigen Anlass für diese Art Demonstration ausgesucht, denn Oksa schien in ziemlich schlechter Verfassung zu sein.
»Vater, unsere Junge Huldvolle hat versucht zu fliehen«, begann Orthon in selbstgewissem Ton. »Ich habe sie vor der Kammer des Umhangs gefunden.«
»Und warum wurde ich nicht informiert?«, fragte Ocious, und zwischen seinen Augen bildete sich eine steile Falte.
»Ich hielt es für besser, unverzüglich zu handeln«, erwiderte Orthon, nun deutlich kühler. »Bevor etwas pasiert, was nicht wiedergutzumachen wäre.«
»Sie hätte sowieso nicht viel anrichten können«, erwiderte sein Vater in arrogantem Ton.
Wortlos ging Orthon mit Oksa zu einem der Sofas und legte sie darauf ab. Ihr Gesicht war leichenblass. In diesem Moment zerbarsten die Fenster in tausend Stücke, und die davorstehenden Möbel wurden zu Kleinholz zerhackt. Pavel war in Ocious’ Wohnzimmer eingedrungen und schlitterte nun über die Onyx-Fliesen des Fußbodens. Es brauchte schon einen eisernen Willen, um den Drachen wieder zu Tinte werden zu lassen, denn eigentlich hätte Pavel die beiden Männer, die mit gezückten Granuk-Spucks vor ihm standen, am liebsten hier und jetzt mit seinem Flammenatem erledigt.
»Eindrucksvoll, Pavel! Wirklich eindrucksvoll!«, applaudierte Ocious und steckte sein Blasrohr weg. »Was für eine Kraft!«
Orthon warf seinem Vater einen hasserfüllten Blick zu.
»Oh, und du bist nicht allein gekommen, wie ich sehe«, fuhr Ocious ungerührt fort.
Pavel drehte sich um: Tugdual und Zoé landeten soeben hinter ihm. Ihre Kleider waren zerrissen, ihre Haare zerzaust und die Gesichter voller Staub. Und beide wirkten äußerst besorgt. Zoé stürzte
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