Oksa Pollock. Der Treubrüchige
stehen. Seine Pupillen weiteten sich und ertränkten das eisige Blau seiner Augen in einem bleiernen Schwarz. Orthon beobachtete das Ganze fasziniert, während Ocious verständnislos zwischen den beiden hin- und herschaute.
»Der Durchscheinende wird uns das, was wir brauchen, nur geben, wenn wir ihm dafür seine Leibspeise servieren«, erklärte der Oberste der Mauerwandler.
Jetzt konnte Zoé Tugdual nicht länger zurückhalten: Der Junge setzte sich auf den Rand des Sofas, auf dem Oksa lag, und stützte den Kopf in die Hände. Dann nahm er Oksas schlaffe Hand und drückte seine Lippen darauf.
»Das hättest du nicht tun sollen«, flüsterte Zoé entsetzt.
Tugdual sah sie gequält an und schüttelte sanft den Kopf. Er atmete schwer und ließ sich die Haare vors Gesicht fallen, um seine Gefühle zu verbergen. Dabei drückte er immer noch Oksas Hand. Plötzlich spürte er, wie Oksas Finger sich leicht bewegten. Ihre Lider flatterten wie Schmetterlingsflügel, und schließlich schlug sie verwundert die Augen auf und versuchte, sich aufzusetzen.
»Diesmal habe ich echt gedacht, es ist aus«, murmelte sie, bevor ihr Kopf auf die Lehne zurücksank.
Ocious tauchte in ihrem Blickfeld auf, direkt hinter Tugdual, der sie ansah, wie er es nie zuvor getan hatte. Da wurde ihr bewusst, wo sie sich befand, und die Erinnerungen an die jüngsten Ereignisse kehrten zurück.
»Das war ein Albtraum …«
»Es wird aufhören, mein Schatz. Wir kriegen das hin. Aber du musst durchhalten, unbedingt«, sagte Pavel.
»Ich versuch’s, Papa, ehrlich!«, murmelte sie.
»Das musst du auch, meine Kleine Huldvolle«, murmelte Tugdual und legte seine Wange an ihre. »Das musst du auch.«
Liebesopfer
O
cious hatte seine treusten Anhänger um sich versammelt, zu denen sich die ältesten der Rette-sich-wer-kann gesellt hatten. Abakum und den Knuts wurde das Herz schwer, als sie die prunkvollen Gemächer betraten: Diese hatten einst der Huldvollen gehört, sie weckten Erinnerungen an Malorane und glücklichere Tage, und die Anwesenheit Oksas machte das Ganze nur noch schmerzlicher.
Dem Mädchen sah man den Schock, den die erneute Chiroptergift-Schmerzattacke ausgelöst hatte, deutlich an. Ihre Gedanken wanderten nach Da-Draußen, zu ihrer Mutter und zu Gus, über denen dasselbe Damoklesschwert schwebte wie über ihr. Bestimmt litten die beiden furchtbar. Dagegen hatte sie wenigstens die Aussicht, diesem Elend bald zu entkommen. Ein Stück von ihr entfernt unterhielten sich die Mauerwandler und die Rette-sich-wer-kann leise, doch Oksa konnte sich nicht genug konzentrieren, um etwas von ihrem Gespräch aufzuschnappen. In ihren Ohren summte es noch immer so heftig, dass sie nur ein undifferenziertes Rauschen hörte. Dennoch war ihr klar, was ihr bevorstand, und ihr graute davor.
»Was muss man nicht alles tun, um am Leben zu bleiben«, murmelte sie und versuchte ein Lächeln, nur um bei dem Gedanken an das Elixier, das sie würde trinken müssen, nicht in Tränen auszubrechen.
Zoé und Tugdual wandten die Köpfe zu ihr um. Die beiden saßen am Boden, mit dem Rücken an das Sofa gelehnt, auf dem Oksa lag. Sie erschrak über ihre entsetzten Blicke.
»Es wird schon alles werden«, sagte Tugdual mit brüchiger Stimme, während Zoé kein einziges Wort herausbrachte.
Dann schauten beide wieder zu den anderen hinüber, die nach wie vor erregt diskutierten. Oksa ließ sich in die Kissen zurücksinken und beobachtete ihre zwei Freunde. Die beiden schienen sich einander angenähert zu haben, und unter anderen Umständen hätte Oksa sich darüber gefreut. Doch diese Nähe zwischen ihnen gründete offenbar auf etwas, das ihr entgangen war, und das gefiel ihr nicht. Sie legte spontan die Hand auf Tugduals Kopf und griff mit den Fingern in sein glattes Haar – was sie sich noch vor einigen Wochen niemals getraut hätte. Gerührt von der zärtlichen Geste, ließ Tugdual den Kopf an das Sofa sinken.
»Alle jungen Leute aus Edefia müssen zusammengerufen werden!«, sagte Ocious plötzlich mit lauter Stimme. »Garantiert ist einer von ihnen verliebt.«
»Wovon redet er da?«, fragte Oksa leise.
Sie konnte kaum ein Wort verstehen.
»Von dem Durchscheinenden«, antwortete Zoé, noch bevor Tugdual irgendetwas sagen konnte.
Oksa sah Abakum nachdenklich auf und ab gehen. Alle schienen fieberhaft nach einer Lösung zu suchen. Alle außer Orthon, der die drei jungen Leute nicht aus den Augen ließ.
»Das dauert viel zu lange! Es muss eine andere Lösung
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