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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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behaupten, dass sie begeisterte Pazifisten sind«, gab der herumhüpfende Getorix zu bedenken.
    Halbwegs beruhigt, setzten die Rette-sich-wer-kann ihren Marsch fort. Gus schien es besonders schlecht zu gehen. Er konnte sich kaum noch aufrecht halten und musste von Jeanne und Galina gestützt werden.
    »Ich hab … kein Gleichgewichtsgefühl mehr«, stöhnte er. »Mein Kopf … alles dreht sich … Ich halte es nicht mehr aus …«
    Oksa hatte plötzlich ein Bild vor Augen: Gus, der von einem dieser schrecklichen Biester gebissen wurde. Es war vor ungefähr einem Jahr bei ihrem Ausflug im Heißluftballon passiert, als Leomido und Orthon aufeinandergetroffen waren. Oksa versuchte, sich zu erinnern, was danach alles gesagt worden war. »Gus hat es allerdings erwischt«, hatte Leomido gesagt, »doch der Biss ist nur oberflächlich. Dragomira hat die nötigen Behandlungen vorgenommen, es besteht keinerlei Gefahr mehr.« – »Und es wird auch keine Folgeerscheinungen geben?«, hatte Naftali besorgt gefragt. »Chiropter sind extrem …« – »Lass uns die Dinge nicht unnötig verkomplizieren«, hatte Leomido seinen Einwand abgetan.
    Oksa fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Eine furchtbare Ahnung beschlich sie. Abrupt blieb sie stehen.
    »Was ist, meine Duschka?«, fragte Dragomira leise.
    Oksa setzte sich wieder in Bewegung und drückte kurz die Hand ihrer Großmutter.
    »Baba, sag es mir ehrlich«, flüsterte sie. »Ist Gus wegen der Chiropter so krank?«
    »Ja«, gab Dragomira nach kurzem Zögern zu. »Die Folgen des Bisses sind zunächst nicht zutage getreten, doch als wir uns der Insel näherten, hat sich das Gift offenbar plötzlich in seinen Adern verteilt.«
    »Das ist ja furchtbar!«, rief Oksa mit erstickter Stimme. »Die Nähe zu den Chiroptern löst nun diese Schmerzen bei ihm aus?«
    »Sozusagen, ja.«
    »Aber dann müssen wir ihn von hier wegbringen! Warum zwingen wir ihn, so nahe an das ranzugehen, was ihm solche Schmerzen bereitet?«
    »Wir haben keine andere Wahl«, gab Dragomira flüsternd zurück. »Die Chiropter beschleunigen den Prozess nur. Aber begonnen hat er in dem Moment, als Gus gebissen wurde, und er lässt sich nicht aufhalten.«
    Oksa spürte, wie ihr die Tränen kamen. Ihre Nasenflügel bebten und sie musste nach Luft ringen.
    »Was soll das heißen, der Prozess lässt sich nicht aufhalten?«, fragte sie, einen Schluchzer unterdrückend. »Willst du damit sagen …«
    »Orthon hat ein Gegengift«, unterbrach sie Dragomira.
    »ORTHON?«
    »Er kennt sich mit den Totenkopf-Chiroptern am besten aus. Remineszens ist sich ganz sicher: Er weiß, wie man sie beherrscht. Er kann aus ihnen entweder harmlose kleine Fledermäuse machen oder sie in eine gemeingefährliche Waffe verwandeln. Er weiß, wie man mit ihnen umgeht, und vor allem weiß er, was bei einem Biss zu tun ist.«
    »Das heißt, wir sind von ihm abhängig, um Gus zu retten?«
    »So ist es, meine Duschka. Leider …«
    Jetzt konnte Oksa ihre Tränen einfach nicht mehr zurückhalten.
    »Wir retten ihn, das verspreche ich dir«, sagte Dragomira und drückte ihr wieder fest die Hand.
    »Koste es, was es wolle«, fügte Remineszens hinzu und fasste sie sanft an der Schulter. »Auch mein Versprechen hast du.«
    Oksa wischte sich die Tränen von den Wangen und wandte sich erneut zu Gus um.
    »Mir ist so schwindlig«, stöhnte er. »Es ist so grauenhaft …«
    Oksa machte ihm ein aufmunterndes Zeichen.
    »Halt durch, Gus!«, rief sie.
    Doch die Gruppe schwenkte bereits ab zur Kapelle. Gus brachte trotzdem noch ein Nicken zustande: Die Botschaft war angekommen. Er entfernte sich mit den anderen, während der kleine Plem­plem hinter ihm hertrottete. Oksa warf einen prüfenden Blick auf den Chiropter-Schwarm, atmete tief durch und ließ sich dann von Dragomira und Abakum mitziehen. Sie mussten sich beeilen. Für Gus. Für Marie. Für die beiden Welten. Und ohne Fragen zu stellen. »Bloß keine Zweifel aufkommen lassen.« Das hatte Tugdual vor einigen Tagen zu ihr gesagt. Sie spürte seine Anwesenheit in ihrem Rücken und blickte sich flüchtig nach ihm um. Er wirkte noch undurchschaubarer als sonst, bleich und verschlossen. Er hob den Blick, doch die Haare hingen ihm ins Gesicht, sodass Oksa den Ausdruck in seinen Augen nicht sehen konnte. In diesem Moment blieben Dragomira und Remineszens stehen. Oksa stockte das Blut in den Adern: Ein paar Meter vor ihnen stand das Haus der Treubrüchigen. Groß. Totenstill. Bedrohlich. Dragomira

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