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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Haus: Es stand mitten auf einem trockenen Stück Heideland. Kein Baum, kein Strauch weit und breit, nur das Heidekraut und das Gebäude, das sich trotzig den Windböen stellte, die gegen seine grauen Mauern fegten. Es war genau so, wie das Wackelkrakeel es beschrieben hatte. Nur Erdgeschoss und erster Stock. Vielleicht fünfzig Meter davon entfernt ragte eine kleine Kapelle über den Felsen auf wie ein Wachposten über dem tosenden Meer.
    Der Tintendrache näherte sich dem Haus. Aus dem Kamin drang Rauch, und einige Fenster waren schwach erleuchtet. Pavels Herz klopfte auf einmal heftig, und eine bittere Wut versengte ihn fast. Marie war hier eingesperrt, irgendwo hinter einem dieser Fenster. Aus der Kehle des Drachen drang ein dumpfes Grollen, geschürt von dem Brennen in Pavels Körper. Ein Schrei löste sich und hallte bedrohlich über die ganze Insel. Das eindrucksvolle Geschöpf drehte ein paar Runden über dem Gebäude und schlug dabei demonstrativ mit den Flügeln. Dann schwebte es über den Eingang und verharrte dort. Am letzten Fenster, in einem Türmchen, das wie ein Wachturm auf dem Haus thronte, erschienen die Umrisse einer Gestalt, die Pavel unter Tausenden wiedererkannt hätte. Orthon stand reglos da und spähte gebannt in seine Richtung. Das Brennen in Pavels Körper wurde so heftig, dass er es kaum noch aushielt. Eine lange Flamme loderte aus seiner Kehle und züngelte über den Fenstersims. Der Drache machte kehrt und verschwand wieder über dem Meer.
    Alle Lichter waren gelöscht worden, als das Boot in einer unheimlichen Stille angelegt hatte. Seltsamerweise hatte sich der Wind beruhigt, und dadurch schwappten auch die Wellen nur noch sanft gegen den Bug.
    »Die Ruhe vor dem Sturm«, murmelte Tugdual mit einem Blick zum klaren Himmel.
    »Gut möglich«, stimmte Oksa leise zu und setzte den Fuß auf den schmalen mondbeschienenen Sandstrand.
    Die Rette-sich-wer-kann kletterten einer nach dem anderen ans Ufer der kleinen Bucht. Alle empfanden Erleichterung darüber, sicher angekommen zu sein, fürchteten sich jedoch auch vor der Begegnung mit ihren Feinden. Die wie sie selbst Von-Drinnen waren, aber den Weg der Treubrüchigen gewählt hatten.
    »Alles okay, Oksa?«, fragte Zoé sie flüsternd.
    »Na ja, schwer zu sagen. Ich glaube, es wurde höchste Zeit, dass wir unser Ziel erreichen. Noch eine Stunde auf diesem Schiff und ich wäre explodiert.«
    »Handeln ist immer besser als Warten«, stellte Cockerell kategorisch fest.
    »Hoffentlich …«, murmelte Zoé und sah sich zweifelnd um.
    Die imposanten Felswände um die Bucht verstärkten noch die Verunsicherung, die alle erfasst hatte. Besorgt schweiften ihre Blicke zu den spitzen Felszacken hinauf.
    »Hat jemand Gus gesehen?«, fragte Oksa plötzlich.
    »Ich bin hier«, meldete er sich mit matter Stimme.
    Er saß vornübergebeugt im Sand, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Dragomira und Jeanne hockten neben ihm, während Bodkin eine Phosphorille in die Höhe hielt, die einen präzisen Lichtkegel auf die Gruppe warf. Das Plemplem-Baby, das sich an Gus’ Pullover klammerte, schaute Gus mit seinen großen sanften Augen an und brabbelte leise vor sich hin. Dragomira reichte dem Jungen ein Fläschchen und bedeutete ihm, es auszutrinken. Oksa zögerte zuerst, doch dann gab sie sich einen Ruck und ging mit klopfendem Herzen zu ihm. Ihr Freund sah schrecklich aus: Seine Augen waren gerötet, die Wangen eingefallen. Er schien nur mit Mühe Luft zu bekommen. Bodkin trat einen Schritt zur Seite, um Oksa Platz zu machen, und reichte ihr die Phosphorille.
    »Danke«, murmelte die Junge Huldvolle.
    Bodkin verneigte sich und ging weg.
    »Wie fühlst du dich, Gus?«, fragte Oksa.
    »Wie kurz vorm Krepieren«, sagte er.
    Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das klang doch zumindest typisch nach Gus!
    »Wenn du kommst, um mir den Rest zu geben, dann mach nur, aber bitte schnell!«, fuhr er fort und streckte ihr scherzhaft die ungeschützte Brust entgegen. »Ich bin bereit.«
    »Red keinen Unsinn, mein Junge!«, mahnte ihn Dragomira sanft. »Mit diesem Trunk dürften deine Kopfschmerzen bald wie weggeblasen sein.«
    »Hast du Kopfschmerzen?«
    »Kopfschmerzen und einen Höllentinnitus oder so was in der Art«, antwortete Gus und sah sie mit glasigem Blick an. »Fühlt sich an wie eine ausgeklügelte Folter, die mich schön langsam umbringen soll. Richtig fies.«
    Oksa lächelte angespannt. Sie freute sich zwar, dass er seinen Galgenhumor nicht verloren

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