Oksa Pollock. Die Entschwundenen
Seite geschlagen. Ohne den Druck ihrer Familie und den des Pompaments wären wir heute nicht hier. Ihre dämliche Hartnäckigkeit, sich unserem Clan zu widersetzen, hat das Große Chaos ausgelöst.«
Zoé sah ihn entgeistert an.
»Das … das glaubst du doch nicht im Ernst, oder?«, stammelte sie. »Die Treubrüchigen mit ihrem Größenwahn haben das alles zu verantworten, niemand sonst!«
»Blödsinn, Zoé! Sieh den Tatsachen ins Auge! Es liegt doch auf der Hand. Die Stärkeren haben immer schon über die Schwächeren geherrscht.«
»Du glaubst also, dass ihr die Stärkeren seid?«
»Natürlich! Und das weißt du genauso gut wie ich! Deswegen bin ich hier, und deswegen wirst du mit mir kommen!«
Zoé sank in sich zusammen.
»Ich will nicht, dass dir etwas zustößt, und bei uns bist du in Sicherheit.«
»Es ist zu spät, Mortimer.«
»Warum?«, protestierte er.
»Du hättest mich nicht alleinlassen sollen. Ich hatte Angst. Ich kann nicht verstehen, wie du mich allein in dem Haus zurücklassen konntest. Du hattest mir versprochen, zu mir zu kommen. Ich habe auf dich gewartet. Tagelang! Und du bist nicht gekommen. Du hast mich angelogen! Damals war es dir ganz egal, dass ich nicht in Sicherheit war, du hast dich um alles andere gekümmert, nur nicht um mich … Ich hätte vor Kummer sterben können, und dich hat es kaltgelassen!«
Zoé steigerte sich so in ihre Wut hinein, dass sie die letzten Worte laut herausschrie. Aller Zorn über die schlimmste Zeit ihres Lebens entlud sich. Mortimer sah sie fassungslos an.
»Dein Vater hat mir meine Eltern weggenommen, Mortimer«, fuhr sie wütend fort. »Danach hat er nicht gezögert, mir meine Großmutter zu nehmen, seine eigene Schwester! Hat er sie mir etwa wiedergegeben? Oder du? Oder einer deiner mächtigen Freunde? Nein! Es sind die, die mich ohne Wenn und Aber als eine der Ihren aufgenommen haben! Aber du hast recht, ich bin nicht wie sie, in mir ist die Schattenseite der Deinen. Mein Herz ist wie mein Blut: schwarz. Ich weiß es, ich spüre es in meinem Innern, es nagt an mir wie Säure. Trotzdem werde ich nicht mit dir gehen. Noch vor wenigen Monaten wäre ich dir in die Hölle gefolgt, wenn du mich darum gebeten hättest. Ich habe dich geliebt wie einen Bruder, Mortimer. Aber heute ist es zu spät.«
Mortimer sah sie mit einer wilden Befriedigung an.
»Du bist genau wie wir, Zoé! Dein Platz ist bei uns.«
Trotz ihrer entschlossenen Worte fühlte Zoé sich wie eine Schlafwandlerin: an der Grenze zwischen zwei Welten, umringt von Leere. Eine letzte Frage brannte ihr auf der Zunge. Die Antwort darauf würde entscheidend sein.
»Warum hast du mich damals nicht mitgenommen?«
Ihr Ton war kalt, obwohl sie in Flammen stand. Mortimer musterte sie aufmerksam, dann legte er die Hände auf ihre Schultern. Zoé hielt seinem Blick stand. Das Urteil würde gefällt werden. Sie wusste, dass ihre Enttäuschung genauso groß sein würde wie die Hoffnung, die sie vor diesem Treffen noch gehabt hatte. Sie machte sich auf einen Schock gefasst.
»Uns blieb nichts anderes übrig«, antwortete Mortimer.
»Wenn du auch nur ein wenig Achtung vor mir hast, bitte ich dich, nicht zu lügen. Nicht heute. Warum hast du mich nicht mitgenommen?«
Eine kräftige Böe wehte durch die Bäume, und Zweige prasselten auf die beiden nieder, als sollte angekündigt werden, was unweigerlich folgen würde.
»Warum?«, wiederholte Zoé.
Mortimer zögerte, dann sprach er endlich die Worte aus, vor denen sich Zoé am meisten fürchtete: »Du musstest dableiben! Es war unbedingt notwendig, dass du bei den Pollocks bist.«
Zoé riss sich von ihm los und wich ein paar Schritte zurück, benommen von der Wahrheit. Sie wankte zu einem großen Baum, lehnte sich daran und holte tief Luft.
Mortimer sah sie an, als würde er seine Worte bedauern. Und es war der Kummer in seinen Augen, der sie aus der Haut fahren ließ.
»Geh weg!«, schrie sie. »Und vergiss nicht: Dein Vater liebt niemanden! Niemanden!«
Sie drehte sich um, legte die Hände um den Stamm und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Der Baum bebte und stürzte, entwurzelt von ihrem Leid, mit einem unheimlichen Krachen zu Boden.
Die Stärke der Rette-sich-wer-kann
D
ie Junge Huldvolle bezeugt eine große Bekleidungseleganz, die Wertschätzung ist umhüllt von Aufrichtigkeit.«
»Danke, lieber Plemplem, nett von dir!«, antwortete Oksa, die sich gerade im Spiegel betrachtete.
»Nettigkeit ist nicht das Motiv Eurer
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