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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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hatte sich wenige Minuten zuvor ja gezeigt.
    »Du kennst doch den schönen Spruch: Nur die Wahrheit kann verletzen«, sagte Tugdual.
    »Du machst es dir ganz schön leicht.«
    »Bist du mir böse, Kleine Huldvolle?«
    »Grund genug hab ich doch, oder?«
    Sie wollte an ihm vorbei hinausstürmen, da packte Tugdual sie am Arm. Er war mit einem Satz auf den Beinen und näherte sich ihrem Gesicht, ohne sie loszulassen.
    »Nein, hast du nicht«, sagte er leise und streifte dabei leicht ihre Lippen.
    Aus reinem Reflex versuchte sie sich zu befreien, doch Tugduals Griff war eisern. Da verwandelte sich ihre Unsicherheit in unbändige Wut: Ein Knock-Bong, der aus tiefstem Herzen kam, schleuderte Tugdual ans andere Ende des Raums und riss eine Vase und eine Lampe mit. Zoé, die die ganze Zeit still am Kamin gelehnt hatte, schrie erschrocken auf. Verstört sah sie Oksa an. Das war mehr, als die Junge Huldvolle ertragen konnte. Sie machte auf dem Absatz kehrt, rannte davon und schloss sich in ihrem Zimmer ein.
    Zehn Minuten später klopfte jemand dreimal an, leise, fast unhörbar.
    »Lass mich in Ruhe!«, schrie Oksa, weil sie annahm, dass es Tugdual war.
    »Ich bin es, Oksa.« Es war Zoés Stimme.
    Die Klinke wurde hinuntergedrückt, und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Zoé trat ein, leise wie eine Katze.
    »Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Zoé«, jammerte Oksa, setzte sich am Fußende ihres Betts auf und stützte den Kopf in die Hände.
    »Ich verstehe das«, sagte Zoé in mitfühlendem, traurigem Ton. »So geht es uns allen. Es ist gerade nicht so ganz einfach.«
    »Es ist furchtbar«, sagte Oksa. »Alles ist ein einziges Durcheinander, und ich habe das Gefühl, gar nicht zu wissen, was ich tue! Da draußen geht die Welt unter, meine Mutter ist in den Händen der Treubrüchigen, wir haben gerade entscheidende Dinge über Edefia erfahren, und mir fällt nichts Besseres ein, als alles nur noch schlimmer zu machen. Ich habe es nicht verdient, dass …«
    Sie zitterte vor Erregung.
    »Du hast Gus nicht verdient, meinst du wohl?«, fragte Zoé und traf damit den Nagel auf den Kopf.
    »Glaubst du, dass ich ihn für immer verloren habe?«
    »Nein. Du kannst ihn gar nicht verlieren. Er ist doch ganz offensichtlich in dich verliebt.«
    Oksa hob den Blick und sah sie betroffen an.
    »Warum muss das alles jetzt passieren?«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid, Zoé«, fügte sie hinzu, als sie sah, wie niedergeschlagen ihre Freundin war. Sie hatte immer schon geahnt, dass Zoé etwas für Gus empfand. Oksa bewunderte sie für ihre unerschütterliche Ruhe, mit der sie das ganze Gefühlschaos anscheinend hinnahm.
    »Und du?«, fragte sie verlegen. »Wie geht es dir mit allem?«
    Zoé senkte den Kopf. »Nicht besonders«, sagte sie schlicht.
    Oksa bekam noch mehr Gewissensbisse.
    »Aber wenn ich dir einen Ratschlag geben darf: An deiner Stelle würde ich mich vor Tugdual in Acht nehmen«, lenkte Zoé das Gespräch wieder auf Oksa.
    »Er ist gar nicht so, wie alle glauben!«
    »Und wenn er nun aber nicht so ist, wie du glaubst?«
    »Er ist kein Treubrüchiger.«
    »Das hat auch niemand behauptet. Aber er ist viel älter als du. Er amüsiert sich nur! Schau doch, wozu er dich gebracht hat. Schau doch, wie du geworden bist, seit … seit ihr euch nähergekommen seid!«
    »Aber ich habe mich doch gar nicht verändert!«, wandte Oksa unsicher ein. »Ich bin immer noch dieselbe! Sagst du das, weil du findest, dass ich dir gegenüber weniger aufmerksam bin? Ich würde dir ja gern helfen, aber ich weiß nicht, wie.«
    »Das ist nicht das Problem, Oksa, bring nicht alles durcheinander«, antwortete Zoé und schlug die Augen nieder. »Mir kann niemand helfen. Vielleicht werde ich diese ganze Geschichte mit der Zeit verkraften können. Aber bis dahin möchte ich einfach nur meine Ruhe haben, weiter nichts.«
    »Es ist furchtbar, was du da sagst«, sagte Oksa traurig.
    Mit verschlossener Miene stand Zoé auf.
    »Ist dir klar, dass Gus allein aus dem Haus gegangen ist, trotz aller Verbote? Und dass du nichts getan hast, um ihn zurückzuhalten?«
    Oksa wurde blass. Ihre Freundin hatte recht.
    »Lass dich nicht blenden!«, schloss Zoé und ging hinaus.
    Sie zog die Tür ohne einen Laut hinter sich zu und ließ die Junge Huldvolle völlig aufgelöst zurück.

Die Wahl des Blutes oder die des Herzens?
    D
ie berühmten Verbote kannte Zoé allzu gut. Ihre Großmutter Remineszens betete sie ihr mehrmals täglich vor … Trotzdem setzte auch

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