Oksa Pollock. Die Entschwundenen
drang ein mühsam unterdrücktes Stöhnen aus seiner Kehle, das der hilflosen Plempline durch Mark und Bein ging. Und obwohl er ein exzellenter Läufer war, fingen irgendwann auch noch seine Beine zu schmerzen an, weil sich die Muskeln vor Anstrengung verkrampften. Unter diesen Umständen fiel es ihm zunehmend schwerer, sich auf Gus zu konzentrieren. Die Schmerzen und dazu seine Ungeduld und Sorge erschöpften ihn, und all seine Gedanken wanderten zu Oksa. Er spürte, dass er allmählich an seine Grenzen stieß. Plötzlich nahm er durch das grüne Dickicht hindurch eine Bewegung wahr. Er blieb abrupt stehen und versuchte, mit den Augen das Grün zu durchdringen. Sein Herz hätte beinahe ausgesetzt, als er unverhofft eine Silhouette wahrnahm.
»Oksa?«, rief er zögernd. »Oksa, bist du da?«
Er bog die hohen Gräser auseinander und verließ den Weg. Da drüben war Oksa, nur ein paar Meter entfernt! Sie saß unter einem hohen Farn und streichelte lächelnd einen imposanten Hasen.
»Oksa!«, rief Pavel außer sich vor Freude.
Ihren Namen rufend, ging er auf sie zu. Doch seine Tochter schien ihn nicht zu hören. Sie nahm ihn überhaupt nicht wahr, sondern streichelte weiter den Hasen. In Panik kämpfte sich Pavel durch das Dickicht zu ihr. Doch als er Oksa erreichte, überfiel ihn erneut der brennende Schmerz von vorhin, diesmal noch heftiger. Er wand sich unter Qualen und richtete seinen Blick verzweifelt auf seine Tochter, doch sie war verschwunden! Pavel brüllte vor Zorn und Schmerz, sodass die Plempline erschrocken zu Boden sprang. Es schien, als ob Flammen jeden Zentimeter Haut auf seinem Rücken verzehrten.
»Ich brenne!«, stöhnte Pavel mit verzerrtem Gesicht und fiel auf die Knie.
Die Plempline ergriff mit beiden Händen sein Gesicht, massierte ihm die Schläfen und blickte ihm tief in die Augen. Sekunden später ebbte der Schmerz ab und verschwand fast ganz. Pavel saß völlig erschöpft auf dem Boden.
»Danke, Plempline«, murmelte er.
»Will der Vater der Jungen Huldvollen der Plempline die Genehmigung erteilen, den brennenden Rücken zu untersuchen?«
Anstelle einer Antwort schob Pavel mit zusammengebissenen Zähnen sein T-Shirt hoch. Die Plempline ließ seine Schläfen los und begab sich in ihrem wackelnden Gang hinter ihn. Eine Weile herrschte Stille, nur unterbrochen von Pavels gequältem Stöhnen.
»Und, Plempline? Was siehst du?«, fragte er mit erstickter Stimme.
Die Plempline zögerte ein paar endlos scheinende Sekunden lang und sagte dann: »Der Vater der Jungen Huldvollen hat den Besitz eines Abdrucks auf dem Rücken.«
»Eines Abdrucks? Was für ein Abdruck?«, fragte Pavel.
»Der Abdruck ist der eines in Vergessenheit geratenen Fabelwesens, das die Menschen dennoch fürchten. Der Vater der Jungen Huldvollen trägt den Abdruck dieses Geschöpfs auf seinem Rücken.«
»Du meinst meine Tätowierung«, erwiderte Pavel beruhigt.
»Die Tätowierung existiert wohl«, bestätigte die Plempline. »Der Tintendrache ist sichtbar. Jedoch erfährt die Zeichnung die Bewegung. Der Tintendrache bemächtigt sich des Rückens, aber auch des Herzens und jeder Faser des Vaters der Jungen Huldvollen. Der Tintendrache erfährt glühende Lebendigkeit, er ist belebt von dem Wunsch, sich von seinem Herrn zu befreien und ihm die Gabe seiner Kraft zu schenken.«
Entsetzt ließ Pavel den Kopf in die Hände sinken.
»Der Vater der Jungen Huldvollen besitzt die Kenntnis der Fähigkeiten seines Tintendrachen, nicht wahr?«, fragte die Plempline nach und tätschelte dabei Pavels Arm. »Der Tintendrache ist erwacht.«
»Ja«, hauchte Pavel. »Ich wusste, dass das eines Tages passieren würde. Und ich habe mich immer davor gefürchtet.«
»Aber dieser Tag ist kein Tag zum Fürchten!«, widersprach die Plempline energisch. »Der Vater der Jungen Huldvollen wird von der Kraft des Tintendrachen, die in seinem Herzen schlummert, erfüllt werden. Er wird die Befreiung der Kraft erfahren, die ihn erstickt.«
»Die Kraft, die mich erstickt …«, murmelte Pavel.
Bitterkeit
N
achdem er sich von dem brennenden Schmerz ein wenig erholt hatte, war Pavel weitergelaufen – stundenlang, wie es ihm schien. Aber jetzt blieb er abrupt stehen. Vor ihm erhob sich eine Mauer: Sie sah aus wie aus wogendem Wasser und bildete offenbar die Grenze des Waldes-ohne-Wiederkehr. Er drehte sich um und stellte fest, dass der Weg, die Bäume, die gesamte Vegetation verschwunden waren. Der Wald schien sich mehr und mehr verflüchtigt zu
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