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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Dann antwortete sie in provozierendem Ton: »Ich habe eben einfach die Seiten gewechselt, Dragomira. Ich wollte ins Lager der Sieger.«
    »Was soll das heißen?«, fragte die Baba Pollock.
    »Dass ich nicht dieselben Ziele verfolge wie du und deine Freunde, nichts weiter«, sagte Mercedica scharf.
    »Noch vor Kurzem waren meine Freunde auch die deinen …«
    »Ist man noch befreundet, wenn man so wenig Gemeinsamkeiten hat? Meine Freunde – meine wahren Freunde – sind die, die dieselbe Sicht der Welt haben wie ich. Aber diese Sichtweise teilst weder du noch irgendjemand aus deinem Kreis. Weißt du noch, welch treffende Antwort du unserer lieben kleinen Oksa gegeben hast, als sie dich fragte, warum die Rette-sich-wer-kann nicht sofort nach Edefia aufbrechen? Sie konnte euer Zögern nicht verstehen, und dein Hauptargument war, dass ihr euch wegen eures Alters körperlich nicht dafür gewappnet fühlt. Aber ich bin mir sicher, dass du dabei an etwas viel Grundlegenderes dachtest: Im Grunde deines Herzens weißt du ganz genau, dass ihr dem nicht gewachsen seid, was euch in Edefia womöglich erwartet. Und wie recht du damit hast! Ich ziehe es vor, mich auf die Seite der Stärkeren zu schlagen. So kann ich sicher sein, dass ich gewinnen werde.«
    »WAS DENN GEWINNEN?«, donnerte Dragomira.
    »Was gewinnen? Das fragst du noch? Die Macht, meine liebe Dragomira, die Macht! Macht und Reichtum! Weißt du noch, was wir in Edefia zurückgelassen haben? Ist dir klar, was für ein Potenzial wir in uns tragen? Hast du darüber nachgedacht, welch enorme Überlegenheit wir besitzen?«
    »Du bist genau wie sie«, murmelte Dragomira.
    »Aber ja doch!«, schrie Mercedica. »Und ich bin stolz darauf! Ich bin stolz, einem so mächtigen Volk anzugehören!«
    »Aber wozu willst du noch mehr? Reicht dir denn nicht, was du hast?«
    »Das Da-Draußen hat mich gelehrt, mich nie mit dem zufriedenzugeben, was ich habe«, antwortete Mercedica trocken und ging noch einen Schritt auf Dragomira zu.
    »Und mich hat es das Gegenteil gelehrt!«, erwiderte Dragomira und setzte sich auf. »Keinen Schritt weiter, Mercedica!«
    Trotz dieser Warnung ging die Spanierin unbeirrt auf die Alte Huldvolle zu, den Arm vor sich ausgestreckt. Ihre Fingerspitzen knisterten, und feine bläuliche Blitze zuckten in Dragomiras Richtung. Doch diese war schneller und sandte einen so unerwartet kraftvollen Knock-Bong aus, dass Mercedica an die gegenüberliegende Zimmerwand geschleudert wurde. Die Haarnadeln, mit denen die Spanierin ihren makellosen Haarknoten befestigt hatte, flogen in alle Richtungen. Pechschwarze Strähnen lösten sich und verdeckten Mercedicas Gesicht. Catarina stürzte erschrocken zu ihrer bewusstlosen Mutter, während Gregor geschmeidig wie eine Raubkatze auf Dragomira zuschoss. Der Baba Pollock blieb keine Zeit zu reagieren: Der Angriff traf sie mit voller Wucht. Durch den Aufprall stürzten sie beide mit dem Sessel um. Gregor setzte sich rittlings auf Dragomira und drückte mit eisernem Griff ihre Handgelenke auf den Boden. Er beugte sich über sie und flüsterte ihr zu: »Mercedica hat recht: Du bist uns nicht gewachsen, und du weißt es ganz genau! Also gib uns das Gemälde, und zwar diesmal das echte! Damit ersparst du dir unnötige Schmerzen und, wer weiß, womöglich sogar einen sinnlosen Tod.«
    Dragomira schauderte – aus Angst und Abscheu vor diesem grausamen Mann, der seinem Vater so sehr ähnelte. Das Bild des jungen Orthon tauchte plötzlich in ihrer Erinnerung auf – der zarte und empfindsame Junge, der er einmal gewesen war – und verschwand im nächsten Augenblick wieder wie eine Fata Morgana.
    »Das wagst du nicht«, sagte sie.
    Gregor lachte hämisch.
    »Und warum nicht? Du hast es doch auch gewagt und deinen Lakaien angewiesen, meinen Vater zu töten!«, schleuderte er ihr entgegen.
    »Woher weißt du …«, hob Dragomira mit erstickter Stimme an.
    Gregor beugte sich dicht über ihr Ohr. »Woher ich weiß, dass nicht du ihn getötet hast?«, vervollständigte er ihre Frage flüsternd. »Da lasse ich dich raten, das ist doch viel amüsanter! Merk dir eins: Wir brauchen dich nicht. Das Mädchen brauchen wir, aber nicht eine alte Hexe, deren magische Fähigkeiten nur noch eine blasse Erinnerung an das sind, was sie einmal waren.«
    Mit der ganzen Kraft ihres Zorns bäumte sich Dragomira unter Gregors Gewicht auf, um ihn abzuwerfen. Der Treubrüchige wurde auf Dragomiras Arbeitstisch geschleudert und riss dabei reihenweise

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