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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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wollte, daran zu hindern. Dragomira war zu diesem Zeitpunkt mit Marie, die in ihrem Zimmer im zweiten Stock schlief, allein im Haus. Zoé half – so hatten sie es gemeinsam beschlossen – an diesem Abend Jeanne im Restaurant und war somit in Sicherheit. Dragomira hatte sämtliche Lichter gelöscht, um die drei dunklen Silhouetten auf dem Gehsteig besser sehen zu können. Dann war sie die enge Wendeltreppe hinuntergestiegen und hatte den Kontrabasskasten sorgsam verschlossen. In ihrer Wohnung hatte sie eine schwarze Wachskerze angezündet und sich in ihrem Sessel zurechtgesetzt, die Arme auf den Lehnen, die Beine übereinandergeschlagen. So wartete sie mit einer finsteren Entschlossenheit, die durch ihren Zorn nur noch verstärkt wurde.
    Kurz darauf drangen zwei Frauen in Dragomiras Wohnung ein, gefolgt von dem großen, hageren Mann. Die drei blinzelten überrascht in dem Halbdunkel. Im flackernden Kerzenlicht wirkten die vielen Tische, Sessel, Gemälde und der ganze Nippes beinahe lebendig. Der Mann zog sein Granuk-Spuck heraus.
    »Ich bringe mal Licht in diesen ganzen Plunder«, sagte er.
    »Spart euch die Mühe!«, ertönte Dragomiras Stimme. Die drei fuhren erschrocken zusammen.
    Eine Phosphorille tauchte mit ihren elf Tentakeln die drei Besucher in helles Licht, beließ die Hausherrin jedoch weiterhin in schützender Dunkelheit.
    »Du bist es also«, sagte Dragomira mit Grabesstimme zu der Frau in der Mitte des Trios. »Meine alte Freundin. Ich wollte es nicht glauben. Warum, Mercedica, warum?«
    Die groß gewachsene, dunkelhaarige Frau mit dem strengen Aussehen reckte das Kinn noch höher als sonst und blickte in die dunkle Zimmerecke, aus der Dragomiras Stimme kam.
    »Meine liebe Dragomira«, hob sie in feindseligem Ton an. »Du bist manchmal dermaßen naiv. Glaubst du immer noch, dass das Leben nur aus Liebe und Harmonie besteht?«
    »Ich habe meine Illusionen schon vor langer Zeit verloren, meine liebe Mercedica«, gab Dragomira zurück. »Im Alter von dreizehn Jahren, wenn du es genau wissen willst. An dem Tag, als ich mit ansehen musste, wie meine Mutter von Ocious niedergemetzelt wurde.«
    »Ach, apropos Ocious«, entgegnete Mercedica hämisch, »darf ich dir seinen Enkel Gregor vorstellen, Orthons ältesten Sohn?«
    Verborgen in ihrem dunklen Winkel, kämpfte Dragomira um Fassung. Ihre Hände umklammerten die Armlehnen des Sessels, und eisige Schauer liefen ihr in Wellen über den Rücken. Der Anblick, wie Orthon im Keller seines Hauses unter der Wirkung der Crucimaphilla in unzählige Teilchen zerstob, kam ihr wieder in den Sinn. In Gregors Blick lag eine grausame Kälte, die Schlimmes ahnen ließ. Wie sehr er doch seinem Vater ähnelte! Dieselbe schmale, groß gewachsene Erscheinung, dieselbe finstere Ausstrahlung, dieselbe Aura von Macht und Stärke. Die alte Dame zitterte und bemühte sich, ihren heftigen Widerwillen im Zaum zu halten.
    »Und bestimmt erkennst du meine Tochter Catarina wieder«, fuhr Mercedica in eisigem Ton fort, »auch wenn du sie lange nicht gesehen hast.«
    Dragomira betrachtete die junge Frau neben Mercedica. Seit ihrer letzten Begegnung vor drei oder vier Jahren hatte sie sich sehr verändert. Ihr unbarmherziger Gesichtsausdruck stand in krassem Gegensatz zu ihrem femininen Äußeren – den großen Augen mit den dichten Wimpern, dem wunderschönen Haar, das ihr in üppiger Fülle auf die Schultern fiel, und ihrer natürlichen Eleganz, die sie zweifellos von ihrer Mutter geerbt hatte.
    »Sie ähnelt dir sehr. In jeglicher Hinsicht, vermute ich mal«, bemerkte Dragomira schneidend. »Aber ich nehme doch an, dass ihr nicht zu einem Höflichkeitsbesuch hergekommen seid.«
    »Das könnte man so sagen«, erwiderte Mercedica mit einem säuerlichen Lächeln. »Trotzdem bitte ich dich jetzt in aller Höflichkeit, mir das Gemälde auszuhändigen, Dragomira.«
    Bei diesen Worten ging sie auf das Halbdunkel zu, in dem Dragomira saß. Die Baba Pollock kochte vor Zorn – auf ihre alte Freundin und auf sich selbst. Wie hatte ihr Mercedicas Verrat nur so lange verborgen bleiben können? Und seit wann täuschte sie sie wohl schon? Klar war jedenfalls, dass die Spanierin ihr doppeltes Spiel sehr erfolgreich betrieben hatte: Niemand hatte Verdacht geschöpft. Nicht Leomido mit seinem Misstrauen, nicht Abakum mit seinem Instinkt.
    »Warum tust du das, Mercedica? Warum?«, fragte Dragomira noch einmal. Die tiefe Enttäuschung über den Verrat war ihr anzuhören.
    Mercedica stöhnte entnervt.

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