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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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im nächsten Augenblick sprang sie in die Horde der schwebenden Köpfe, mitten hinein in die wehenden Haare, die sie begierig umschlangen.
    Die Rette-sich-wer-kann standen um den kleinen, frisch aufgeschütteten Erdhügel herum, während Abakum einige Abschiedsworte für die Plempline sprach.
    »Unsere Dankbarkeit wird dir immer sicher sein«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Du kannst dich darauf verlassen. Die Erinnerung an deine Hingabe wird ewig in uns leuchten.«
    Oksa unterdrückte einen Schluchzer. Es klang wie ein Würgen, viel lauter, als sie wollte. Sie sah hinüber zu Gus, der ein paar Meter weiter unter einem Baum saß. Er wirkte völlig überwältigt von seinem Schmerz. Die schwarzen Haare hingen ihm wirr in die tränennassen Augen, sein Gesicht war kreidebleich. Als Oksa sich neben ihn setzte, drehte er sich weg und kehrte ihr den Rücken zu. Mehrere Minuten lang saß Oksa schweigend neben ihm, dann legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Gus zuckte zusammen und igelte sich noch mehr ein.
    »Ich wollte nicht, dass es so weit kommt«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.
    »Das wollte niemand«, sagte Oksa tröstend. »Und keiner war auf so was gefasst. Aber wir waren alle gefangen in diesem Tunnel, es schien keinen anderen Ausweg zu geben! Einer von uns musste dort drinbleiben. Und den Beweis hat die Plempline geliefert: Kaum hatte sie sich den Sirenen geopfert, war plötzlich alles verschwunden, und wir sind hier gelandet.«
    Als müsse er sich noch einmal vergewissern, dass das stimmte, ließ Gus den Blick über die fremde Umgebung schweifen. Die kleine Gruppe rastete in einer üppig grünen Landschaft, einem wahren Garten Eden. Die einzigen Geräusche waren das herrliche Gezwitscher unsichtbarer Vögel und das Brausen eines Wasserfalls, der sich in einen glasklaren Teich ergoss. Nachdem die Sirenen der Lüfte und der finstere Tunnel plötzlich verschwunden waren, hatten sie einander staunend und fassungslos angesehen, verwundert darüber, überhaupt noch am Leben zu sein. Remineszens hatte sich auf den feinen, weichen Sand sinken lassen, so ausgelaugt war sie von dem gnadenlosen Kampf gegen die Sirenen. Ihre Füße waren fürchterlich zerschunden, und auf ihrer Wange klaffte eine blutende Wunde. Abakum hatte sich sofort um sie gekümmert: Der Feenmann hatte ein Fläschchen mit Filigrinnen aus seinem Umhängebeutel geholt, während Leomido das Ganze mit düsterer Miene beobachtete. Pierre war erschöpft zu Boden gesunken. In seinen Augen stand noch die Verzweiflung darüber, mitansehen zu müssen, wie das Leben aus seinem Sohn wich. Pavel hatte Oksa abgesetzt und sich dann sofort auf den Rücken gefasst – offenbar litt er furchtbare Schmerzen wegen seines Tintendrachen. Er hatte sich ins Hohlkreuz geworfen, und seine Wirbelsäule hatte heftig geknackt. Sobald Oksa sah, dass es ihrem Vater wieder gut ging, hatten ihre Augen Tugdual gesucht. Der Junge kniete neben dem kleinen, frisch aufgeschütteten Erdhügel und legte ein Mosaik aus flachen Steinen darauf … Alle schienen dumpf vor Müdigkeit und Trauer darauf zu warten, wie ihre Reise wohl weitergehen würde. Mühsam schluckte Oksa ihre Tränen hinunter. Plötzlich fiel ihr Blick auf die herrlichen Blumen, die am Rand des Teichs wuchsen. Ihre Blütenblätter waren so intensiv rot, dass es schien, als züngelten kleine Flammen daraus hervor. Fasziniert trat Oksa näher. Die Blumen waren lang und hoch wie Schilf und wogten sanft hin und her, obwohl keinerlei Wind ging. Und Oksas erster Eindruck bestätigte sich: In den Blüten züngelten winzige Flämmchen, als ob im Herzen einer jeden Blume ein kleines Feuer brannte.
    »Unglaublich«, hauchte Oksa.
    Sie ging noch näher heran, um zu sehen, ob das Feuer nicht irgendwann verlosch. Aber nichts dergleichen. Die Blütenblätter dieser fabelhaften Blumen verbrannten nicht etwa – sie waren selbst kleine Flammen!
    Sie streckte die Hand aus, um eine der Blumen für das Grab der Plempline zu pflücken. Eine ganz natürliche menschliche Geste auf der Erde, die in einem verwunschenen Gemälde jedoch alles andere als harmlos war, wie sie sogleich feststellen musste …
    »Aber was macht Ihr denn da, Unselige?«, empörte sich die Blume, die Oksa hatte pflücken wollen. »Lasst mich los, Ihr erwürgt mich ja!«
    Oksa gehorchte sofort, nicht so sehr wegen der Tatsache, dass die Pflanze sprechen konnte – daran war sie allmählich gewöhnt –, sondern weil eine Art glühender Wolke sich aus dem

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