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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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sind?«, fragte sie ihn leise. »Angeblich sind sie krank.«
    »Die Matroschka, wie du sie nennst, ist eine meiner besten Freundinnen!«, schnauzte Merlin sie an.
    »He! Das war doch nicht böse gemeint! Ich habe mir nur Sorgen gemacht, weiter nichts!«
    »Hm. Das merkt man«, sagte Merlin kühl, dem plötzlich Zweifel an der wundersamen Wandlung des Mädchens kamen.
    »Was denn? Es ist doch ein ziemlich schmeichelhafter Vergleich, oder? Matroschkas sind total niedlich.«
    »Seid jetzt still!«, mahnte Madame Crèvecœur.
    Merlin drehte sich wieder um, froh, Ruhe zu haben vor seiner aufdringlichen Mitschülerin.
    »Zunächst möchte ich euch sagen, wie sehr ich mich freue, euch wiederzusehen«, begann die Lehrerin. »Ich danke euch für die vielen Briefe und Geschenke. Sie haben mir sehr geholfen, weit mehr, als ihr euch vorstellen könnt. Was ich durchgemacht habe, bleibt ein Rätsel, aber ich habe beschlossen, nach vorn zu schauen, und deshalb bin ich wieder bei euch. Ich bin jetzt eure Klassenlehrerin und wünsche euch in diesem Schuljahr schon mal viel Erfolg. Ich habe mir vorgenommen, euch nach Kräften zu unterstützen.«
    Einige Schüler, denen ihr ehemaliger Klassenlehrer McGraw noch allzu lebhaft in Erinnerung war, murmelten ein leises Dankeschön.
    »Das war es schon!«, schloss sie munter, als wolle sie verhindern, dass Rührung aufkam. »Wir können uns gleich an die Arbeit machen. Fangen wir mit der üblichen Vorstellungsrunde an. Ich möchte, dass ihr ein wenig von euren Ferien berichtet, was haltet ihr davon?«
    Zoé hörte ihren Mitschülern nur mit halbem Ohr zu. Ihre Aufmerksamkeit galt ihrer Lehrerin. Madame Crèvecœur stand hinter ihrem Pult und sah genauso schlank und jugendlich aus wie vorher. Nur in ihrem Gesicht hatte das Geschehen Spuren hinterlassen: Sie hatte kleine Fältchen in den Augenwinkeln, und ihr Blick war nicht mehr ganz so wach wie zuvor. Äußerlich war sie also fast wieder die Alte, doch Zoé konnte den schrecklichen Anblick der Lehrerin nicht vergessen, die mit struppigem Haar und zerrissener Kleidung im eiskalten Brunnen planschte und dabei aus voller Kehle sang. Und sie konnte auch nicht vergessen, dass ihr Großonkel McGraw schuld daran gewesen war. Wusste die Lehrerin, in welcher Beziehung sie zu ihm stand? Natürlich. Aber sie schien es ihr nicht übel zu nehmen. Warum auch? Zoé wusste zwar, was in Wirklichkeit geschehen war, doch Madame Crèvecœur würde es nie erfahren! Sie hatte alles vergessen. In ihren Augen war ihr unfreundlicher Kollege bei einem Autounfall gestorben, und Zoé hatte ihren Vormund verloren, weiter nichts. Es war wirklich seltsam. Alle hassten ihren Großonkel, dennoch war er nicht nur ein grausamer Lehrer oder ein brutaler Treubrüchiger gewesen. Zoé konnte nicht glauben, dass er irgendetwas mit der Eingemäldung ihrer Großmutter zu tun hatte. Die Sensibylle musste sich täuschen. Sie mussten sich alle täuschen. Diese Gedanken trieben ihr die Tränen in die Augen, und sie biss sich fest auf die Lippen. Madame Crèvecœurs Blick streifte sie, und die Lehrerin zuckte zusammen, als könnte sie ihre Gedanken lesen. Dann lächelte sie Zoé zu, liebenswürdig, aber auch mitfühlend. Zoé bedrückte das. Wieder einmal erweckte sie bei denen, die ihre Geschichte in groben Zügen kannten, Mitleid. Sie erwiderte das Lächeln, ballte jedoch insgeheim die Fäuste, frustriert und verletzt.
    »Zelda, machst du weiter?«, sagte die Geschichts- und Erdkundelehrerin dann. Im nächsten Moment wurde sie ganz blass, und ihr Blick verschleierte sich. Sie klammerte sich so fest an ihr Pult, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
    Zelda straffte den Rücken und warf der Lehrerin einen entschlossenen Blick zu. »Ich heiße Zelda Beck«, begann sie. »Ich lese gern und mag Fremdsprachen, elektronische Musik und Wettlaufen. In den Sommerferien war ich im Raumfahrtmuseum, und das war wirklich toll. Da kann man alles Mögliche über den Weltraum lernen.«
    »Da hast du sicher recht«, sagte Madame Crèvecœur, die jetzt irgendwie verstört wirkte. »Danke, Zelda. Und nun du, Zoé.«
    Zoé hätte sich am liebsten offen und ehrlich vorgestellt und gesagt: »Ich bin Zoé Evanvleck, und ich interessiere mich für Geschichte, besonders für die des Volks der Von-Drinnen, von dem ich abstamme. Diesen Sommer habe ich gesehen, wie meine Cousine und mein Großvater von einem bösartigen Gemälde verschluckt wurden, in dem meine tot geglaubte Großmutter und mein bester Freund, der

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