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Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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gebannt zurück.
    Dann öffnete es den Mund.
    Ein Schrei drang heraus, zuerst heiser und krächzend, dann immer spitzer, bis er schließlich so schrill war wie eine Alarmsirene.
    Der vibrierende Klang des ruckartig hervorgestoßenen, aber ohrenbetäubenden Gebrülls, das aus seinem Innersten drang, ließ einem das Blut in den Adern stocken.
    Es sollte nicht lange dauern, bis ihm die fünf anderen Neugeborenen auf dieselbe Weise antworteten. Alle im Labor pressten sich vor Schmerz die Hände auf die Ohren. Nur Orthon blieb buchstäblich taub für dieses entsetzliche Geschrei.
    »Perfekt«, wiederholte er, den Blick immer noch auf den Erstgeborenen gerichtet. »Absolut perfekt!«

Veränderungen
    D as Haus hatte unter den Stürmen und Überschwemmungen gelitten, wie Abakum angekündigt hatte. Das Dach war teilweise abgedeckt, und bei ihrem Sturz hatten Bäume das hübsche Waldzimmer beschädigt, in dem Oksa die ersten Male mit Tugdual allein gewesen war. Doch das magische Sicherheitssystem hatte Abakums Anwesen vor einer weit größeren Gefahr geschützt: den Plünderungen.
    Da es in der näheren Umgebung keine anderen Anwohner gab, konnten die Rette-sich-wer-kann die Schäden mit einer Leichtigkeit beheben, um die jeder Bauarbeiter sie beneidet hätte. Ganz ohne Kran brachten die Vertikalierer mit vereinten Kräften die eingestürzten Balken wieder an Ort und Stelle, und anschließend flogen die Ziegel in einer perfekten Choreografie vom Boden zum Dach hinauf.
    »Genial!«, kommentierte Oksa, als sie das sah. »Wie bei Mary Poppins!«
    Sie trug gerade Mörtel auf die Küchenmauer auf und tätschelte währenddessen dem Kapiernix den Kopf.
    Er warf ihr einen fragenden Blick zu: »Mary Poppins?«
    »Ja, du weißt schon, die Zauberin!«
    Bei dieser Antwort kamen dem Kapiernix nur noch größere Zweifel.
    »Ach so?«, sagte er bloß.
    »So ein Trottel!«, machte sich der Getorix lustig. »Er kennt nicht mal Mary Poppins!«
    »Ich kenne sie sehr wohl«, verteidigte sich das träge Geschöpf. »Da ist sie doch.«
    Bei diesen Worten streckte es den schlaffen Arm aus und zeigte auf Oksa. Alle anderen Geschöpfe, die begeistert waren, endlich wieder im Freien zu sein, und ausgelassen auf der Wiese herumtollten, brachen in schallendes Gelächter aus. Alle, außer den Sensibyllen, die wegen der »eisigen Temperaturen« in einer Ecke schmollten.
    »Diese Mary Poppins ist witzig, nicht wahr?«, sagte daraufhin der Kapiernix.
    »Sehr witzig!«, antwortete Oksa so liebenswürdig wie immer, wenn sie sich mit dem freundlichen Geschöpf unterhielt.
    Der Getorix schnaubte verächtlich. »Wenn Ihr ihn auch noch ermutigt, wird er es nie lernen, meine Huldvolle.«
    »Aber lieber Getorix, der Kapiernix wird es doch sowieso nie lernen«, erwiderte Oksa lachend.
    Das zerzauste kleine Geschöpf hielt einen Augenblick inne, spazierte dann um den Kapiernix herum und schloss: »Ihr habt recht, das wird er wirklich nicht. Nein, niemals!«
    Gus beobachtete die Szene vom Dach aus. Er machte gerade eine kleine Pause, saß an der Dachkante und ließ die Beine ins Leere baumeln. Seit er an der Schwelle des Tors, das nach Edefia führte, abgewiesen worden war, hatte er sich sehr verändert. Der Schock, von seinen Eltern, Oksa, Zoé und den anderen Rette-sich-wer-kann getrennt zu sein, die Konfrontation mit Gewalttätigkeit und mit Entbehrungen, die Krankheit, die ihn von innen zerfraß – all das hatte dazu geführt, dass er Verantwortung übernahm. Ihm war auch wenig anderes übrig geblieben: Entweder er beklagte sich weiter darüber, dass er als bedauernswerter Von-Draußen die Härten dieser Welt ertragen musste, oder aber er versuchte, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
    In der schwierigen Zeit vor der Rückkehr der Rette-sich-wer-kann hatte er Dinge fertiggebracht, die er sich vorher, als er noch ein ganz gewöhnlicher Schüler gewesen war, nie zugetraut hätte. Nach und nach war er in seine neue Rolle hineingewachsen, die Rolle eines jungen Menschen, auf den man sich verlassen konnte. Die Abgewiesenen brauchten ihn, und ganz besonders Marie Pollock, die wie er einer furchtbaren Bedrohung ausgesetzt gewesen war. Sie hatten nie darüber gesprochen, denn das Wissen, dass sie beide dem Tod mit jedem Tag ein bisschen näher rückten, war schlimm genug gewesen. Hinzu kamen die schrecklichen Schmerzen, unter denen sie beide litten. Doch diese gemeinsame Erfahrung hatte sie einander nähergebracht, und eines Tages hatte Gus Oksas Mutter sogar

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