Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)
Jahr davor nicht mehr gesehen und fanden seinen Besuch seltsam. Am Anfang war er sehr liebenswürdig, hat ihnen erklärt, dass er meine Fähigkeiten für einen ganz besonderen Auftrag bräuchte. Doch als sie gezögert haben, mich ihm anzuvertrauen, hat er sich von einer ganz anderen Seite gezeigt. Wie meine Eltern es ausdrückten, war er zwar noch er selbst, aber irgendwie auch nicht mehr. Ein bisschen wie du, Oksa, oder du, Gus.«
Oksa biss sich auf die Lippe.
»Ja, bloß dass wir nicht versuchen, die Welt aus dem Gleichgewicht zu bringen«, sagte sie schließlich. »Im Gegenteil!«
»Oksa, bitte«, mischte sich Gus ein. »Lass ihn ausreden!«
»Sprich weiter, Niall«, ermutigte ihn Zoé.
»Ab da ist die Situation gekippt. Er hat meinen Eltern gedroht, es war völlig unlogisch, sie haben kaum verstanden, was er eigentlich von ihnen wollte. Dann hat er plötzlich ein Blasrohr hervorgeholt und damit auf meinen Vater gezielt. Als er hineinpustete, gab es plötzlich einen ungeheuren Wirbelsturm, es war die reinste Verwüstung. Alles, was wir vor den Überschwemmungen gerettet hatten, wurde zerstört.«
»Dreckskerl!«, rutschte es Mortimer heraus, der mit verschränkten Armen an der Tür stand.
»Und wie sind deine Eltern ihn schließlich losgeworden?«, fragte Oksa.
»Na ja, ich weiß nicht, das werdet ihr mir wohl kaum glauben.«
»Du kannst ganz sicher sein, dass es nicht viel gibt, was wir dir nicht glauben würden«, flüsterte Zoé.
»Orthon hat gesagt, dass er zurückkommt und mich dann mitnimmt, ob freiwillig oder nicht. Und dann ist er …«
Er unterbrach sich plötzlich. Seine Hand schlug nervös gegen sein Bein. Mehr wollte er nicht verraten.
»Er ist weggeflogen, oder, Niall?«, fragte Zoé sanft.
Niall schwankte und sah sie an. Diese ganze Geschichte war vollkommen irrwitzig, und trotzdem schien niemand an ihr zu zweifeln. Schlimmer noch: Sie schienen alle genau zu wissen, was passiert war.
»Ja«, gab er schließlich zu. »Woher weißt du das?«
Zoé wich seiner Frage aus. »Und dann?«
»Meine Eltern waren total geschockt. Sie haben Orthons Drohungen sehr ernst genommen.«
»Und daran haben sie gut getan.«
»Sie haben mich abgeholt, und seitdem verstecken wir uns.«
Alle schauten zu Mortimer.
»Wie hast du ihn dann gefunden?«, fragte Zoé.
»Ich bin eben nicht nur ein hirnloser Fiesling«, antwortete er und warf Oksa einen freundschaftlichen Blick zu, die daraufhin verlegen zurücklächelte. »Ich habe genau beobachtet, welche Schüler sich an der St.-Proximus gut verstanden haben, und ich weiß, dass die Eltern von Niall und die von Merlin Poicassé schon damals eng befreundet waren.«
»Merlin!«, rief Oksa. »Hast du ihn wiedergesehen? Geht es ihm gut?«
»Ja, sehr gut. Bei ihm hatten sich Niall und seine Eltern versteckt.«
Ein kurzes Schweigen trat ein. Zoé war die Erste, die es brach.
»Ich glaube, Niall, wir sind dir ein paar Erklärungen schuldig.«
Eine Stunde später war Niall um einige Erkenntnisse reicher.
»Glaubst du, wir können Orthons Unterschlupf finden, Niall? Glaubst du, dass du ihn aufspüren kannst?«
In Zoés Fragen schwang große Hoffnung mit. Und Niall verschlang sie mit den Augen. Offensichtlich hatte er sich auf den ersten Blick in sie verliebt.
»Auf dem Schulhof hätte ich dich nie für ein Computergenie gehalten«, fügte Zoé jetzt leise hinzu.
»Na ja, ich hätte auch nie geglaubt, dass du aus einer anderen Welt stammst!«
Eine unglaubliche Entdeckung
Z oé traute ihren Augen nicht, als sie auf das Video stieß. Schnell öffnete sie ein neues Fenster und hielt dabei panisch den Lautstärkeregler des Computers gedrückt, um ihn auf stumm zu schalten. Doch es war zu spät … Oksa hatte es schon gehört und war auf ihrem Stuhl herumgewirbelt.
»Was ist das?«, stammelte sie erschrocken.
Mortimer sah sie beunruhigt an, Gus nahm seinen Kopfhörer ab, und Niall warf Zoé einen fragenden Blick zu. Kukka hingegen war genauso bestürzt wie Oksa.
»Zoé? Was war das gerade?«
So angespannt stand Oksa hinter ihrer Cousine, dass man befürchten musste, es würde bald wieder ein gewaltiges Unwetter geben. Sie hatte zwar nichts gesehen, doch was sie gehört hatte, war eindeutig gewesen.
Diese Stimme kannte sie. Sie kannte sie gut.
Die Stimme erinnerte sie an die schönsten und an die schlimmsten Momente ihres Lebens. Die leidenschaftlichsten und die grausamsten. Und an die schlimmste Enttäuschung, die sie je erlebt hatte. »Zeig mir dieses
Weitere Kostenlose Bücher