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Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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und wieder zweigten Gänge rechts und links der Treppe ab, sodass sie das Gefühl hatten, sich in einem unterirdischen Labyrinth zu befinden. Immer wieder stellten sich die Wurzeln auf und blockierten gewisse Zugänge, wenn Oksa und Abakum vorbeikamen. Das Mädchen fühlte sich nicht gerade wohl dabei.
    »Du darfst das nicht falsch verstehen«, erklärte Abakum. »Sie wollen uns nur den Weg weisen. In diesem Gewirr kann man sich leicht verlaufen.«
    Manchmal sah Oksa Schatten durch die Gänge huschen und zuckte unwillkürlich zusammen. Schließlich wurde die Treppe zu ihrer großen Erleichterung breiter und mündete in einen sehr großen Saal, dessen Wände mit knorrigen Wurzeln bedeckt waren. Und als sie sah, wer da war, machte ihr Herz vor Freude einen Luftsprung.
    »Papa!«, schrie sie und ließ den Plemplem einfach los.
    Alle Müdigkeit, alle Niedergeschlagenheit, alle trüben Gedanken waren wie weggeblasen. Sie fiel ihrem Vater um den Hals, und alle Anspannung löste sich.
    »Wie schön, dass du wieder da bist«, flüsterte Pavel und drückte sie fest an sich. »Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren.«
    Oksa sah ihn an, sie lachte und weinte zugleich.
    »Ab jetzt bleiben wir immer zusammen, Papa, das schwöre ich!«
    »Ich habe mir das auch geschworen«, entgegnete er leise.
    Die vergangenen Wochen hatten sein Gesicht gezeichnet. Er hatte Stoppeln auf den Wangen, und unter seinen graublauen Augen lagen dunkle Ringe. Auch die Silberfäden in seinem dichten blonden Haar waren nicht zu übersehen. Oksa schmiegte sich an ihn, und die beiden vergaßen die Welt um sich herum. So blieben sie lange Zeit stehen, bis Oksa sich allmählich beruhigt hatte.
    »Ich habe Mama gesehen, weißt du?«, sagte sie dann.
    Pavel zuckte zusammen und schob sie sanft von sich, um ihr in die Augen schauen zu können. Mit dem Zeigefinger wischte er seiner Tochter über die schmutzigen Wangen und blickte sie verständnislos an.
    »Ich habe eine Fähigkeit«, erklärte sie ihm leise. »Eine Fähigkeit, die es mir erlaubt, aus mir herauszutreten und an Orten, wo ich gar nicht bin, Dinge zu tun.«
    »Das Andere Ich«, dröhnte Abakums Stimme.
    »So hat Baba das genannt, ja. Dank dieser Fähigkeit konnte ich Mama zusammen mit den anderen Abgewiesenen in London sehen. Es geht ihr gut«, schwindelte Oksa.
    Das Hochwasser in den Straßen erwähnte sie mit keinem Wort.
    »Gott sei Dank«, sagte Pavel.
    »Ich konnte sie sogar in die Arme nehmen«, fuhr Oksa fort. »Und ich glaube, sie hat wirklich gespürt, dass ich da war. Es war unglaublich, Papa.«
    »Hast du Gus auch gesehen?«, hörte sie da eine vertraute Stimme fragen.
    »Zoé!«
    Oksa eilte zu ihrer Großcousine – und besten Freundin – und schloss sie liebevoll in die Arme.
    Zoé sah ebenfalls ziemlich mitgenommen aus. Ihre blonden, nach hinten gekämmten Haare unterstrichen noch ihre fahle Haut, und in ihren riesigen haselnussbraunen Augen spiegelte sich tiefes Leid.
    »Ja, ich habe ihn gesehen«, antwortete Oksa. »Ihm geht es auch gut. Er schlägt sich prima, das kannst du mir glauben.«
    Zoé lächelte.
    »Und du?«, fragte Oksa. »Wie geht es dir? Du musst mir unbedingt von eurer Flucht erzählen.«
    »Moment mal«, unterbrach Pavel sie. »Zuerst bist du an der Reihe. Wir haben nämlich überhaupt keine Ahnung, was in der Kammer des Umhangs geschehen ist, weißt du? Du magst zwar die Neue Huldvolle sein, aber deswegen darfst du deinen armen alten Vater und deine bescheidenen Freunde noch lange nicht auf die Folter spannen. Wenn du das glaubst, hast du dich geschnitten!«
    Oksa konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
    »Armer alter Vater und bescheidene Freunde, sagst du? Ihr seid doch die mächtigsten Menschen der beiden Welten!«
    »Wenn das bloß wahr wäre«, brummte Pavel.
    »Natürlich! Und das ist der Beweis: Ihr habt es geschafft, zu fliehen!«
    »Das stimmt«, gab Oksas Vater mit einem kleinen Lächeln zu. »Aber bevor wir uns gegenseitig unsere Abenteuer erzählen, möchte ich dir diejenigen vorstellen, denen wir unsere Freiheit zu verdanken haben.«
    Mehrere Menschen kamen auf Oksa zu, doch sie hatte nur Augen für den einen, den sie sich insgeheim am sehnlichsten an der Seite der drei entflohenen Rette-sich-wer-kann gewünscht hatte.
    »Hallo, Kleine Huldvolle!«

Im Rausch des Wiedersehens
    O
ksa stand wie vom Blitz getroffen da und brachte kein Wort heraus, doch in ihrem Inneren tobte ein Sturm der Gefühle.
    Drei Meter vor ihr stand Tugdual. Er hatte die Hände

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